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Erkannt werden – heute: an der Fleischtheke

„Ich kenne Sie“, sagte die Frau Ende 50, der man ansieht, dass sie ihr Leben lang hart gearbeitet hat.

Sie trägt ihr Haar blondiert, sorgfältig aufgeplustert, und ihre Haut ist unter der dicken Schicht Schminke nur zu erahnen. Sie ist keine von den dünnen, ausgezehrten Frauen, sondern eher großmütterlich weich, trotz der vielen Falten, die sich in dem runden Gesicht eingegraben hatten.

„Ach ja?“, erwiderte ich von der anderen Seite der Fleischtheke. Die Verkäuferin nickte, mehr zu sich selbst als mir zu, und betrachtete sinnierend das große Stück irisches Rumpsteak aus dem Angebot, von dem sie eigentlich gerade im Begriff gewesen war, zwei Scheiben für mich abzuschneiden. „Woher denn?“, hakte ich nach, denn dass wir uns persönlich noch nicht getroffen hatten, ist mir klar.

Kurz ziehen mehrere Szenarien vor meinem inneren Auge vorbei: Es könnte sein, dass sie die Lokalzeitung regelmäßig liest, und da war ich ein paar mal drin zu sehen, als Stadträtin und als Autorin. Oder hat sie mich im Fernsehen gesehen? Aber wenn ja, in welcher Sendung? Dass sie Blogs im Internet liest, schließe ich aus.

„Ich weiß es: aus dem Fernsehen!“, ruft sie auf einmal so laut und erfreut, dass der Kunde rechts von mir, der schon bedient wird von einer Kollegin, interessiert den Kopf in unsere Richtung dreht. „Ja, das kann gut sein. Da bin ich manchmal zu sehen“, bestätige ich ihr, und ich wage nicht zu fragen, in welcher Sendung sie mich gesehen hatte, obwohl mich das brennend interessiert hätte.

„Ich habe Sie sogar schon ein paar Mal im Fernsehen gesehen“, fährt die Frau zu meinem großen Erstaunen fort, und dann kommt sie ins Reden. Dass es gut sei, dass ich den Mund aufmache, und es sei klasse, was ich tue.

„Niemand hört uns“, stellt sie dann deprimiert fest. Die Freude darüber, mich erkannt zu haben, ist der Erkenntnis gewichen, dass sie auf ihrer Fleischthekenseite und ich auf meiner nicht das Leben führen, das wir uns vorgestellt hatten. „Was glauben Sie, wie schwer es war, die Kollegen und die Firma verstehen überhaupt nicht, was das bedeutet….“

Das Wort „alleinerziehend“ nimmt sie nicht in den Mund, als habe sie Angst, damit erwischt zu werden. Aber die Frau an der Fleischtheke und ich, wir wissen genau, wovon wir reden.

„Danke, dass Sie mich angesprochen haben“, sage ich zum Abschied. „Ich freue mich darüber.“ Die Frau an der Fleischtheke strahlt mir noch lange hinterher. Und ich wundere mich, dass mich in diesem riesigen Supermarkt, in dem zum Zeitpunkt meines Einkaufs Hunderte Menschen sind, ausgerechnet die Frau an der Fleischtheke kennt. Von all den Fremden war sie mir die nächste.