Stats

HomeKurzgebloggtWas, wenn...!?

Was, wenn…!?

Die Blutwerte sehen nicht gut aus, sagt der Arzt und dreht den Bildschirm zu mir hin.

„Sehen Sie hier, so war der XY-Wert vor einem Jahr, und inzwischen hat sich der Wert noch erhöht“, erklärt er sachlich während er auf zwei rot umkringelte Zahlen zeigt, und dass wir – also ich – da ein Auge drauf haben müssen. Zum MRT soll ich, und dann nochmal Blut abnehmen, und hinterher, wie vor einem Jahr schon, nochmal ein gründlicher Ultraschall der inneren Organe. Okay, ja, kann ich alles machen. Und ja, ich habe die Blutwerte über ein Jahr nicht mehr kontrollieren lassen, weil ich mich eigentlich ganz gut fühlte, also nicht gut-gut, sondern körperlich gesund halt. Bis auf die Halsschmerzen, die immer wieder auftraten, und für die der HNO keine Erklärung fand, außer das sie von Verspannung herrühren könnten. Und die Müdigkeit, naja, die auch, aber mein Leben ist halt anstrengend, wie sollte ich nicht müde sein!?

Nun sitze ich da, in der großen Gemeinschaftspraxis, und denke: Mist. Ich hätte das nicht schleifen lassen sollen. Aber es war immer was, Termine, Runde Tische wegen der Kinder, Sorgen um meine Mutter, dann die ausbleibenden Unterhaltszahlungen, Arzt- und Therapietermine für die Kinder. Meine eigene Gesundheit habe ich, wie viele Alleinerziehende, nicht so im Blick gehabt.

Ich gehe regelmäßig zum Frauenarzt und lasse auch die Schilddrüse checken, ich schlafe gut, mache ein bisschen Sport, ich achte auf gutes Essen, und das war’s. Das ist mehr, als viele andere Alleinerziehende für sich tun können. Immerhin kann ich mir meine Zeit relativ frei einteilen, und meine finanzielle Situation hat sich auch etwas entspannt. Jetzt könnte doch alles gut werden, oder?

Ganz schlechte Idee: Lebenserwartung zur Überweisung googeln

Wird es aber nicht. Vielleicht wird es jetzt erst richtig hart, wird mir auf einmal klar. Was ist, wenn ich ernsthaft krank bin? So ganz unwahrscheinlich ist das nicht. Verdacht auf eine sehr seltene Autoimmunerkrankung, na prima. Sehr seltene Sachen kann ich offenbar besonders gut. Und natürlich habe ich gegoogelt, was das bedeutet. Wie die Lebenserwartung ist, falls es das ist, was auf dem Überweisungsschein für die Untersuchung im Krankenhaus steht, und ob es Therapiemöglichkeiten gibt. Die Antwort ist: Nicht wirklich, man kann damit ziemlich alt werden oder auch nicht, je nachdem, welche Ausprägung ich erwischt haben sollte. Falls es das ist, was der Arzt vermutet, was ich ja noch nicht weiß.

Aber irgendwas ist da, ich spüre es. Ich horche in mich hinein, ich führe Zwiegespräche mit meinem Körper, ich rede ihm gut zu. „Du kannst mich doch jetzt noch nicht im Stich lassen, die Kinder brauchen mich noch!“ Und ich hab Pläne für später, ich will noch so viel von der Welt sehen, ich will noch einen Roman schreiben, mich nochmal verlieben, irgendwann endlich mal wieder Zeit für die schönen Dinge des Lebens haben.

Ich google nochmal, diesmal andere Seiten, aber da steht dasselbe. Das klingt alles nicht gut. Vor einem Jahr immerhin sahen alle Organe im Ultraschall noch völlig normal aus, sage ich mir, und dass ich ja beschwerdenfrei bin, und es eigentlich reiner Zufall ist, dass ich nun überhaupt weiß, dass meine Blutwerte auf eine Autoimmunerkrankung hinweisen, wäre ich nicht zum Arzt gegangen, dann wüsste ich von nix. Vielleicht wäre mir das lieber. Aber nein, natürlich nicht. Noch sei das alles nicht alarmierend, sagt der Arzt noch beruhigend, aber ich bin schon alarmiert, denn wenn ich das schon länger habe, dann ist dieses Was-auch-immer bereits chronifiziert, und google sagt, das bleibt und wird ab jetzt in Schüben nur noch schlimmer. Wenn es das ist. Ich hasse google.

Das Gedankenkarussell und ich, wir drehen uns im Kreis

In meinem Kopf dreht sich ein riesiges Gedankenkarussell. Was würde ich tun, wenn ich wüsste, ich hätte nur noch soundsoviele Jahre durchschnittliche Lebenserwartung? Wäre das ein Grund, hier alle Zelte abzubrechen und zu reisen? Würde ich brav zu Ende leben und weiter meine Pflicht erfüllen? Vielleicht ist der Zeitpunkt, an dem ICH wieder dran bin, doch schon jetzt, obwohl ich dachte, das müsste noch warten?

Noch ist das alles reine Spekulation. Aber eins merke ich, seitdem ich vergangene Woche beim Arzt war und dieses Gespräch geführt habe: Der Gedanke daran, dass mein Körper auf Selbstzerstörung geschaltet haben könnte, radikalisiert mich. Er hat das schonmal getan, kurz nach der Geburt von Jüngster vor 10 Jahren, als ich aus heiterem Himmel drei relativ große Tumoren in der Brust entwickelte, und das, während ich voll stillte. Die waren damals für mich der letzte Hinweis, dass ich mich vom meinem Mann trennen muss, der mir schon lange nicht mehr gut tat. Der Körper quittierte dies freundlich: Die Tumoren entpuppten sich als gutartig und verschwanden nach einigen Monaten wieder. Ob ich nochmal so viel Glück habe? Noch 3 Wochen, dann werde ich genauer wissen, wie heftig der Warnschuss ist, den mir mein Körpfer diesmal sendet. Bis dahin heißt es warten. Und die Finger davon lassen, die Verdachtsdiagnose und den Verlauf noch tiefer zu googeln. Leicht ist das nicht.

Angst habe ich keine. Am Ende des Lebens bin ich tot, das wusste ich vorher schon. Aber wenn zu allem, was ich eh schon schultere, auch noch eine chronische Autoimmunerkrankung kommen sollte, dann wird es nicht einfacher. Weder für mich noch für die Kinder. Und das ist, was mir eigentlich am meisten Sorgen macht. Da ist niemand anders, der irgendwas auffangen könnte.

Schluss jetzt. Noch sind das alles nur Gedanken. Und keine Guten. Ich sage mir, dass mein Körper, mein Leben und ich sowieso immer etwas aus der Reihe tanzen, und dass es vielleicht gar nicht so schlimm kommt. Oder einfach anders schlimm. So war’s ja bisher auch immer. Du kannst das Leben eh nicht planen. Es gibt scheinbar kerngesunde Menschen, die aus dem Stand tot umfallen. Und angenehme Überraschungen gibt’s ja manchmal auch. Schluss jetzt. Wirklich.