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10 Tage Stadträtin – erste Erfahrungen

Ich bin total platt, obwohl ich vergangene Nacht 11 Stunden ausgeschlafen habe. Das neue Ehrenamt als Gemeinderätin fordert seinen Tribut, und das ist nicht überraschend – der Juli ist vollgestopft mit Sitzungen, weil während der Schulsommerferien pausiert wird.

Vor 10 Tagen wurde ich in der konstituierenden Sitzung des Gemeinderats „verpflichtet“ und saß zum ersten Mal im Ratssaal in einem schweren roten Stuhl an dem Platz, von dem aus ich nun für fünf Jahre bei Sitzungen wahlweise „Stellung nehmen“, „Anfragen der Räte“ stellen kann, oder einfach zuhöre.

Titisee im Nebelregen, auf der Fahrt zur Klausurtagung am 11.07.2014
Titisee im Nebelregen, auf der Fahrt zur Klausurtagung am 11.07.2014

Es gibt viele Regeln in so einem Gemeinderat, was die Abfolge der Anträge, Beratungen, Beschlüsse und Redner betrifft, das ist ein richtig eigener Kosmos. Für mich als komplett Fremde, die außerhalb der Uni nie viel mit Verwaltung und diesen Strukturen zu tun hatte, gilt also erst einmal: gut zuschauen, aufpassen, und die Gepflogenheiten lernen. Das ist ungefähr so anstrengend wie einen neuen Job in einer komplett fremden Firmenkultur anzutreten, aber weil ich das schon öfter gemacht habe und mich immer gut zurecht fand, fühlt sich zumindest das komplett Fremde vertraut an. Das Gefühl, irgendwo neu und nicht bei allen willkommen zu sein, kenne ich von klein auf an.

Statt Tagebuchbloggen will ich euch, und auch mir schreibenderweise, einen Überblick geben, was ich erlebt habe. Ich weiß, dass einige Leser dieses Blogs auch schon für ihren Gemeinderat kandidiert haben oder zumindest mit dem Gedanken spielen, sich poliltisch zu betätigen – da ist ein Eindruck, was einem blüht, wenn das klappt, hoffentlich hilfreich.

Arbeitsbelastung als Stadträtin

Ich war insgesamt 14 Sitzungsstunden + 31 Stunden (insgesamt) für die Klausurtagung beschäftigt:

  • am 3. Juli, dem Tag der konstituierenden Sitzung von 15:30 bis 22:15 aus dem Haus
  • am 7. Juli bei unserer wöchentlichen Fraktionssitzung von 17:45 bis 21 Uhr mit der Jüngsten anwesend (dazu unten mehr, unter Kinderbetreuung)
  • am 8. Juli bei der ersten Arbeitssitzung im Sozial- und Jugendausschuss von 15:30 bis 20 Uhr aus dem Haus
  • Vom 11. Juli 8:10 bis zum 12. Juli 15:15 auf einer Klausurtagung unterwegs

Sitzungsvorbereitung bedeutet lesen, lesen, lesen. Dafür habe ich zusätzlich etwa 5 Stunden gebraucht, inklusive heute, wo ich bereits die drei nächsten Sitzungen für die kommende Woche im Blick habe.

Ich habe also in den vergangenen 10 Tagen fast 50 Stunden meiner Zeit in den Gemeindrat investiert. Kein Wunder, dass ich kaputt bin. :)

konstituierende Sitzung
Konstituierende Sitzung am 3. Juli 2014

Kinderbetreuung

Das ist und bleibt ein zentrales und schwieriges Thema für mich: noch hat der Gemeinderat seine Hauptsatzung nicht dahingehend geändert, dass die Kinderbetreuungskosten im Rahmen der Förderung der Vereinbarkeit von Famlie und Mandat übernimmt, wie das etliche Städte in Deutschland bereits tun. Die hiesige Verwaltung bereitet aber bereits Vorlagen vor, die dann eine Mehrheit im Gemeinderat finden müssen, womit ich nicht vor Oktober rechne.

Ich gebe also die 370 € Aufwandsentschädigung, die ich als Stadträtin erhalte, zu großen Teilen für Kinderbetreuung aus. Mein Arbeitsausfall ist damit nicht abgegolten, das ist logisch.

Fraktionssitzung im vond er Stadt bereitgestellten Raum. Foto: Jüngste.
Fraktionssitzung im von der Stadt bereitgestellten Raum. Foto: Jüngste.

Für die Fraktionssitzungen passt meine älteste Tochter auf die beiden jüngeren Geschwister auf, so diese pflegeleicht und einverstanden sind. Manchmal ist das kein Problem, da spielt die Jüngste mit Freundinnen und ist eine Nachbarin hat dann die Aufsicht, manchmal will die Jüngste auch gerne DVD gucken. Aber vergangenen Montag z.B. wollte sie uuuuungedingt mit zur Fraktionssitzung, was ich dann auch erlaubt habe, aber sehr anstrengend für alle Beteiligten war.

Dem Kind war natürlich nach 30 Minuten langweilig. Aber ich hatte gesagt, dass ich sie nicht zwischendrin heimbringe und wollte da auch einen Lerneffekt erzielen. Dummerweise war das eine Sitzung, die sich richtig lange zog, weil wir so viel zu besprechen und auch Gäste hatten. Das war eine ziemliche Quälerei für alle. Die Jüngste hat sich zwar gut benommen, aber ich war fix und fertig hinterher, denn gleichzeitig auf ein Kind aufzupassen und zuzuhören ist mehr als Multitasking.

Meine Mitstreiter waren sehr tapfer, keiner hat die Augenbrauen gehoben oder auch nur durch Körpersprache zu verstehen gegeben, dass das Kind störe. Das fand ich super. Aber ich mag die eh alle. :)

Für die beiden offiziellen Sitzungen im Rat, die konstituierende und den Sozial- und Jugendausschuss, hatte ich über eine Bekannte zwei junge Frauen organisiert, die sich abwechselnd um meine Kinder kümmerten. Ab September werde ich die beiden auf Minijob-Basis einstellen, das macht jetzt über die lange Sommerpause noch keinen Sinn. Mit den beiden habe ich richtig Glück gehabt, sie wohnen nicht nur um die Ecke, sondern sind auch befreundet und können super mit meinen Kindern, was speziell bei der Jüngsten nicht selbstverständlich ist.

Mit den beiden anderen Räten des Jungen Forums Konstanz auf der Klausurtagung
Mit den beiden anderen Räten des Jungen Forums Konstanz auf der Klausurtagung

Am Klausurwochenende konnte ich nur teilnehmen, weil meine Mutter sich bereit erklärte, aus Freiburg anzureisen und hier Stellung zu halten. Das ist ein echter Liebesdienst, denn sie ist schon 76 und gesundheitlich nicht mehr ganz fit. Außerdem unterscheiden sich unsere Ansichten über Erziehung sehr, da hat es schon öfter Mal Reibereien gegeben, weil die Kinder ihre Methoden nicht akzeptieren und ich da ganz schnell zwischen alle Stühle gerate.

Und so gab es auch diesmal wieder ein kleines Drama: die Jüngste wollte am Freitag nicht, dass ich gehe und machte, als ich trotzdem mit dem Fahrrad und meiner Reisetasche losfuhr, ein Riesentheater. Damit hörte sie bis mittags um 12 nicht auf, wie meine Mutter berichtete. Das ganze endete damit, dass meine Mutter ihre Enkelin packte und rabiat in ihr Zimmer bringen wollte. Diese wehrte sich und trat vor Wut den Fernseher um, der bei uns im Wohnzimmer steht. Klirr, machte es, und nun ist das Ding kaputt. Das war aber nicht alles, denn nun waren sowohl die Oma als auch die Enkelin durch den Wind. Ich erfuhr davon in meiner Mittagspause, als ich zuhause anrief, um zu hören, ob alles in Ordnung sei.

Da ich meine Pappenheimer kenne, war ich (leider oder zum Glück?) nicht überrascht über diese Entwicklung, und als ich nach Hause kam, konnte ich die Wogen glätten bzw. hatten sich alle schon wieder eingekriegt. Diese Erfahrung zeigt mir aber wieder einmal, dass meine Mutter und meine Kinder nur bedingt kompatibel sind. Weitere Klausurtagungen werde ich wohl kaum mitmachen können. Es sind aber auch keine geplant.

tv-kaputt

Freie Arbeit als Journalistin

Ende Juni hatte ich Abgabe für 4 Kinder-Minibücher, die ich im Auftrag textete, so wie vergangenes Jahr auch schon. Für die Elternwebseite liliput-lounge arbeite ich noch nebenbei, aber musste einige Termine verschieben und auch ankündigen, dass ich wohl kaum so viel Verantwortung dort tragen kann wie bisher. Ich habe die Webseite nun 7 Jahre begleitet, sie ist gut aufgestellt mit dem neuen Inhaber, der vor 2 Jahren übernahm, ich denke, da ist es nun Zeit, sich abzunabeln. Die Texte für den Familiendienstleister famPlus will und werde ich auf alle Fälle weiter schreiben, es traf sich gut, dass jetzt gerade nur eine Deadline und eine Telefonkonferenz mit diesem Kunden angesetzt war, das passte ganz gut.

Aber es ist ganz klar, dass ich durch die Arbeit im Gemeinderat weniger Zeit haben werde, als Freie Geld zu verdienen. Müssen wir mal gucken, wie das finanziell hinhaut, denn wir leben ja eh schon auf Hartz-IV Niveau, vielleicht sogar drunter.

Für meine Wohngeldanträge und den Antrag auf Übernahme der Kita-Kosten für die Jüngste ist das ganze hin und her mit dem Geld ziemlich unpraktisch, denn das Ausfüllen der Formulare wird so echt unübersichtlich für mich. Ich weiß auch nicht, ob mir das Wohngeld weiterhin zusteht, wo ich die Entschädigung als Gemeinderätin erhalte. Das bekomme ich nur heraus, wenn ich den Antrag einreiche, was ich mir für kommende Woche vorgenommen habe. Da ich das bereits das dritte Jahr in Folge mache, werde ich damit aber sicherlich zurechtkommen. Ist halt lästig, aber nötig.

Zwischenmenschliches

Ich habe Freude daran, mit Menschen zu arbeiten und an Sitzungen teilzunehmen, und es bereichert mich,wenn ich mich mit schlaueren Leuten umgebe. Insofern finde ich die Situation gerade sehr stimulierend. Ich rudere, ackere, beschnuppere die Leute und liebe das.

Erste Sitzung im Sozialausschuss. Foto: Matthias Schäfer, der rechts neben mir saß.
Erste Sitzung im Sozialausschuss. Foto: Stadtrat Matthias Schäfer.

Einige Stadträte und auch Mitarbeiter der Verwaltung sind richtig interessant, die hätte ich ohne mein Mandat nie kennengelernt. Besonders viel über die neuen „Kollegen“ habe ich natürlich auf der Klausurtagung erfahren, während der Kaffeepausen, dem Mitttag- und Abendessen und an der Bar. Da wurde mit einem Tischfußball gekickert, in der Disco getanzt, und es duzen sich nun viel mehr Leute als vorher. Ich weiß nun, mit wem ich wahrscheinlich ganz gut zurecht komme, und wem ich lieber aus dem Weg gehe.

Vielleicht liegt es daran, dass ich Journalistin bin, aber ich liebte besonders die Geschichten hinter den Gesichtern. Es ist sooo spannend, wenn sich die Leute etwas öffnen und von ihren Kindern oder der privaten Situation erzählen. Das hilft mir über so manche dröge Sitzungsvorlage hinweg, weil es ja nicht nur darauf ankommt, was man tut, sondern auch, mit wem.

Dusterer Hotelflur, Tagungshotel im Schwarzwald
Dusterer Hotelflur, Tagungshotel im Schwarzwald

Ausblick

Von allen Räten habe ich sicherlich die wenigste Ahnung von Kommunalpoliltik, deren Strukturen und Regeln. Ich habe viel zu lernen, aber Lust dazu. Speziell die erste Sitzung im Sozial- und Jugendausschuss hat mir gezeigt, wie konkret und gestaltend so ein Amt ist: da wird (vor-)beschlossen, wie viel Geld eine Kita kostet, es geht ums Personal, die Öffnungszeiten, die zukünftige Gestaltung der Betreuungslandschaft der Stadt. Ich sitze genau da, wo ich hin wollte.

Seitens der Verwaltung ist noch viel Raum für neue Ideen, die wissen das nur noch nicht. Aber einige Fraktionen weisen genauso wie ich auf die „veränderten Lebensrealitäten“ von Familien hin, die nicht mehr aus Frauen, die in ‚Teilzeit arbeiten oder zuhause sind, bestehen. Es wird sicher nicht leicht, da etwas zu bewegen. Aber das hat ja auch nie einer behauptet.

Ich bin guter Dinge, aber sehe als gute Langstreckenschwimmerin die ganze Strecke. So würde ich das zusammenfassen. Im Moment bin ich gerade erst vom Startblock gesprungen, ohne Bauchklatscher immerhin, und finde die Wassertemperatur ganz angenehm. Das Haifischbecken verlasse ich so schnell nicht.

Linktipp innerhalb des Blogs: Wie ich Stadträtin wurde