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2 Jahre Stadträtin – eine Zwischenbilanz

Halbzeit ist noch nicht, die ist erst im Herbst diesen Jahres. Aber nach 2 Jahren Kommunalpolitik in Konstanz, zu der ich kam wie die Jungfrau zu dem Kinde, will ich eine kurze Zwischenbilanz wagen. Stadträtin zu sein macht mir immer noch Spaß, oder sagen wir: wieder.

Denn nach ziemlich genau 1,5 Jahren, also im Winter 2015/2016, ereilte mich eine Art Tief, so wie damals während der Promotion, als mir auffiel, wie viele Wissenslücken es noch zu füllen galt. Ich bin ganz froh, dass ich dieses Gefühl absoluter Unzulänglichkeit schon kannte, und dass ich wusste, das wird sich wahrscheinlich geben. Außerdem bin ich ja für 5 Jahre gewählt, genauso wie ich damals einen 5-Jahres-Vertrag an der Uni hatte. Also maß ich diesem kurzzeitigen Frust keine zu große Bedeutung bei und las einfach weiter meine Unterlagen, ging zwar etwas lustlos, aber ohne zu klagen, zu Fraktions- und anderen Sitzungen, und hatte das große Glück, in meiner politischen Truppe (einer überparteilichen Wählervereinigung) auch offen sagen zu können, dass mir das alles gerade weniger Freude denn Mühsal bereite.

 

Bloggende Stadträtin oder Bloggerin im Stadtrat?

“Es dauert zwei Jahre, bis du dich eingearbeitet hast”, haben alle gesagt, die sich hier vor Ort mit der Kommunalpolitik auskennen. Unsinn, dachte ich direkt nach meiner Wahl im Mai 2014 – das sollte doch nach 6 Monaten erledigt sein? Die Rituale und Gepflogenheiten im Stadtrat und den Ausschüssen erschienen mir zwar fremd, die ständige Händeschüttelei bei allen Gelegenheiten ist es auch immer noch, aber dass die strengen Sitzungsordnungen mit genau geregelten Rede- und Organisationsabläufen durchaus sinnvoll sind, um möglichst strukturiert Argumente und Wissen zu sammeln, leuchtete mir schnell ein. Was die Sitzungsregeln betrifft, fühle ich mich mittlerweile sehr wohl: Ich empfinde Arbeitskreise und Gremien mit losen Regeln sogar als anstrengend und chaotisch.

Aber ansonsten bin ich immer noch eine Bloggerin, die zufällig im Stadtrat gelandet ist (wie das genau passierte, steht hier). Und das finde ich ganz gut so. Anfangs hatte ich die Befürchtung, dass ich vor lauter Last des Ehrenamtes weniger frei bloggen oder twittern würde, aber das ist nicht eingetreten. Ich bin keine Stadträtin, die bloggt, sondern eine Bloggerin im Rat. Auch wenn ich weiß, dass nicht wenige aus den Reihen der Räte mein Treiben im Internet eher mit Misstrauen als mit Wohlwollen betrachten.

Was macht ein Stadtrat?

Kommunalpolitik zu machen, bedeutet viel direkte Verantwortung. Und zwar für tausend Dinge, die eine Stadt braucht, um zu funktionieren. Wie vielseitig die Aufgaben einer Stadt sind, erstaunt mich immer noch. Insofern ist dieses Ehrenamt eine Art gigantischer Fortbildungskurs für mich, und ich lerne jede Woche neue Dinge. Ich bin in etlichen vorberatenden Gremien (z.B. dem Schulaussschuss), auch in einem Aufsichtsrat (Flughafen) und einem Beirat (Friedhof), am Runden Tisch zur Begleitung von Füchtlingen, im Internationalen Forum, dem Verwaltungsrat einer gemeinnützigen Stiftung und der Straßenbenennungskommission.

Wir regeln praktische Dinge wie die Satzung der städtischen Kindergärten von Öffnungzeiten bis hin zu den Tarifen, entscheiden über Infrastruktur für Schulen (Fahrradstellplätze und Reinigungskräfte sind unheimlich teuer!), bestimmen den Umfang von Schulsozialarbeit, die Neubesetzung von leitenden Ämtern, die Unterbringung von Flüchtlingen, Abwasserkanalsanierung, steuern die Radwege- und Verkehrsplanung, und kein größeres Bauvorhaben kommt ohne Entscheidungen des Stadtrats aus.

Auch Vergünstigungen wie der Sozialpass und dessen genaue Ausgestaltung gehen detailliert durch die Gremien, es ist unglaublich vieles, was wir entscheiden und diskutieren. Das ist toll, es ist so gut wie nie langweilig, selbst wenn die Gemeinderatssitzungen sich von 16 Uhr bis spät in die Nacht ziehen.

Eigentlich schlafe ich immer um 22 Uhr – diese späten Sitzungen sind das einzige, was für mich wirklich schwierig ist. Ebenfalls schwierig fand ich anfangs den Umgang mit Mikrofonen, aber das hat sich inzwischen gegeben, auch weil ich diese in anderen Kontexten, nämlich als Bloggerin, kennengelernt habe, wo ich mich sicherer fühlte als im Gemeinderat. Und jetzt geht es, ich habe keine Angst mehr vor den Mikros. Es fällt mir mittlerweile auch leichter, überhaupt etwas zu sagen. Speziell in den Ausschüssen habe ich endlich, endlich eine gewisse Sicherheit und Routine erlangt – das macht es einfacher, sich prägnant und so auszurücken, dass die Botschaft auch rüberkommt.

Und – tut’s mir leid, dass ich gewählt wurde?

Nope. Es erstaunt mich, wie viel Zeit ich in dieses Ehrenamt stecke, ohne jemals dein Eindruck zu haben, Zeit zu verschwenden. Pro Woche wende ich locker 15 Stunden auf, und manchmal überlege ich zwar, ob ich in dieser Zeit besser Sport machen sollte, Wellness oder mit den Kindern spielen, aber gleichzeitig knüpfe ich so viele interessante Kontakte, bekomme Einsichten darin, wie Familienpolitik vor Ort funktioniert, dass ich glaube, meine Zeit wirklich sinnvoll zu verbringen.

Falls ich wirklich jemals wieder nach Berlin zurückziehe, wenn die Kinder groß sind, und mich dort politisch einbringe, dann werde ich eine Menge darüber wisssen, wie Kommunen arbeiten. Und auch für meine Arbeit als Journalistin ist es sehr nützlich, zu verstehen, wie Politik in den Städten konkret gemacht wird. Ich lese die überregionalen Zeitungen mit ganz neuen Augen, ich verfolge den politischen Diskurs im Land auf neue Art, und ich fühle mich bereichert durch dieses Amt.

Nee, es tut mir nicht leid, dass ich gewählt wurde. Ich zieh das jetzt durch. :)