Letzte Nacht war es wieder da, zwischen 3 und 4 Uhr, dieses fiese Pieken im Bauch. Ich bin davon aufgewacht.
Ich hatte das in den vergangenen 10 Tagen öfter mal, immer nur nachts, und natürlich habe ich gegoogelt, was das sein kann. So wie vor 5 Jahren auch, als ich wegen genau derselben Beschwerden zum Arzt gegangen bin. Die Antwort ist: alles oder nichts, und entweder ich versuche es erstmal mit Entspannung, Sport und gesunder Ernährung, oder man setzt die ganz große Untersuchungsmaschinerie in Gange, ohne Garantie auf einen Befund, aber mit garantiert einem Haufen Terminen.
Damals, vor 5 Jahren, befand ich mich mitten in einer hässlichen Scheidung, und war so gestresst, dass ich dachte, wenn ich nicht aufpasse, bekomme ich ein Magengeschwür oder mein Darm entzündet sich vor Wut und Trauer. Das hat mir Angst gemacht, denn ich darf nicht ausfallen. Meine Kinder haben nur mich. Ich weiß nicht mal, wen ich in meine Sorgerechtsverfügung einsetzen sollte für den Fall, dass ich plötzlich sterbe, und deswegen schiebe ich auch das vor mir her, obwohl ich genau weiß, dass ich so eine Verfügung aufsetzen sollte, und auch, wie man das macht.
Vorsorgetermine? Für die Kinder halte ich sie alle ein
Genauso wie die Zahnprophylaxe, da war ich seit bestimmt 10 Jahren nicht mehr, zum Zahnarzt gehe ich nur, wenn was wehtut, was momentan zum Glück nicht der Fall ist. Außerdem kostet mich die Prophylaxe nicht nur Zeit, sondern auch Geld, viel Geld – unter 100 Euro bin ich bei meiner Zahnärztin nicht dabei.
Den alljährlichen Check bei der Frauenärztin erledige ich, meine Schilddrüse ist eingestellt und natürlich war ich mit den Kindern bei allen U-Untersuchungen, sie sind nach den Empfehlungen der StiKo geimpft, gehen regelmäßig zum Kinderzahnarzt, hatten Ergotherapie, haben diverse therapeutische Angebote für Trennungskinder wahrgenommen, und um all das herum waren selbstredend laufend Elterngespräche mit Schule und Kita, Termine mit Spezialisten für dies und das, und allerlei Fachstellen, bei denen ich um Hilfe ersucht habe, einzuplanen.
Rückenprobleme, Burn-Out, Depressionen und Magengeschwüre – für Alleinerziehende ziemlich normal
Nur für mich ist keine Zeit. Meine Gesundheit, das merke ich jetzt, nach gut 8 Jahren des Alleinerziehens, ganz schön strapaziert. Ein Burn-Out hat mich noch nicht ereilt, obwohl die Gefahr dafür bei Alleinerziehenden besonders hoch ist und ich mehrfach kurz davor war, und auch von Depressionen bin ich verschont geblieben. Aber ich bin über das normale Maß gealtert, und mein Rücken tut seit über einem Jahr eigentlich dauerweh. Und das, obwohl ich schon 4-5 Mal den Orthopäden aufgesucht habe deswegen. 3 Mal wurde ich wieder eingerenkt („Kein Wunder, dass Sie Schmerzen haben. Ihr Kreuz ist verrenkt!“), ich hatte Physiotherapie und habe auch ab und zu Sport gemacht – Schwimmen -, aber trotzdem trage ich offenbar zuviel Last, ich bin verspannt, mein Rücken wehrt sich. Wie viele andere Alleinerziehende auch finde ich viel zu selten Zeit für Sport und Entspannung.
Ich weiß also, wo das Problem ist: Ich bin gestresst und überlastet. (Kleiner Tipp für andere Alleinerziehende: „Überfordert“ darf man nicht sagen, das löst beim Jugendamt spontan den Reflex aus, Fremdunterbringung für die Kinder vorzuschlagen. Habe ich mir sagen lassen.)
Das Motto ist: Weitermachen, denn sonst macht’s ja keiner
Kürzlich träumte ich, dass ich für 4 Wochen alleine in die Reha nach Italien fahren würde, und zwar im Schlafwagen. Wo ich auch alleine war in diesem Traum. Das war herrlich. Und zeigt ziemlich genau, was ich bräuchte – Ruhe, Reha, Entspannung. Und zwar alleine. Das ist aber nicht drin, wenn ich die Kinder nicht in Pflegefamilien geben will, und es wäre für sie traumatisch, weil sie so an mir hängen. Also muss ich weitermachen und hoffen, dass das so lange wie möglich gut geht. Von außen betrachtet ein ziemlich dummer Plan. Aber einer, den sehr viele Alleinerziehende notgedrungen durchführen.
Meine Leserinnen fluteten mich mit bedrückenden Kommentaren und Direktnachrichten voller stressbedingter Krankheiten, als ich auf Facebook um Infos über ihren Gesundheitszustand als Alleinerziehende bat. Einige sind eigentlich reif für die Frühverrrentung, alle sehen keinen anderen Weg, als irgendwie durchzuhalten. Und viele trauen sich nicht, offen darüber zu reden, weil sie Angst haben, dass ihnen das vom Jugendamt, Familiengericht oder dem Ex negativ ausgelegt wird und am Ende die Kinder darunter leiden. Es ist zum Haareraufen.
Armut und Stress töten frühzeitig
Dauerhafter Stress und Armut, das wissen wir aus Studien, wirken lebensverkürzend – Eine um 10 Jahre geringere Lebenserwartung ist realistisch:
„Die Lebenserwartung sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen ist nach Daten des Robert-Koch-Institutes im Vergleich zu Beziehern hoher Einkommen um bis zu 11 Jahre verringert, das Risiko für chronische Erkrankungen und Depressionen um das Zwei- bis Dreifache erhöht.“ Hans W.Höpp, FAZ 2018
Das Alleinerziehen raubt uns Jahre unseres Lebens, nicht nur jetzt, sondern auch am Ende des Lebens. Derweil die Expartner fröhlich das Wochenendprogramm mit dem Kind machen, wenn sie sich überhaupt kümmern. Es gibt keine Pflicht für getrennte Eltern, sich um ihre Kinder zu kümmern. Aber jede Menge Rechte bei gemeinsamem Sorgerecht. Auch das kann Alleinerziehende sehr stressen, und hier wäre ein Punkt an dem der Gesetzgeber gut eingreifen könnte.
Statt erster Hilfe gibt’s riesige Baustellen im System
Den Menschen zu ermöglichen, innerhalb der Strukturen klarzukommen, die Daseinsvorsorge zu betreiben, ist Aufgabe des Staates und der Kommunen. Und Mütter haben sogar laut Grundgesetz (Artikel 6.4) Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft. Davon merken aber gerade wir Alleinerziehenden nicht viel. Eigentlich gar nix. Statt niederschwelliger Hilfe geraten wir in Hilfesysteme, die von einer gewissen Unfähigkeit Alleinerziehender ausgehen und bei Vielen für mehr Stress als zu Entlastung führen, und das ist fatal. Und Verschwendung von Steuergeldern und Ressourcen obendrein. Das Thema ist komplex, und ich gerate in Rage – es gäbe so vieles zu tun!
Ein letzter Schlenker zu mir und meiner Gesundheit: Zu den vielen Dingen, die ich muss, wie die anderen Alleinerziehenden auch, kommt nun also noch gezielte Entspannung, Sport und Schonkost zubereiten. Leider stresst mich der Gedanke, weil ich mich selbst darum kümmern muss. Vielleicht gehe ich erstmal schwimmen, obwohl ich arbeiten und putzen sollte. Ich schätze, das erhöht meine Lebenserwartung zumindest ein bisschen.
Auszug aus obiger Fachpublikation:
„Auswirkungen auf die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten von Alleinerziehenden zeigen sich vor allem dann, wenn zu der alleinigen Verantwortung für die Kinder weitere Benachteiligungen hinzukommen. Hier ist insbesondere das deutlich erhöhte Armutsrisiko von Ein-Eltern-Familien zu nennen, das wiederum selbst in starkem Maße mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen assoziiert ist. Hinzu können psychosoziale Belastungen treten, die sich mitunter aus einer geringeren Zeitsouveränität und fehlenden sozialen Ressourcen ergeben.
In den Bundesrahmenempfehlungen der Nationalen Präventionskonferenz nach §29d Abs. 3 SGB V werden Alleinerziehende explizit als Zielgruppe benannt: „Insbesondere Alleinerziehende und ihre Kinder sind durch ihre Lebenslage häufig erheblichen psychosozialen und materiellen Belastungen ausgeetzt und sollten bei Präventions- und Gesundheitsförderungsaktivitäten daher besonders berücksichtigt werden.“
Ein wichtiges Element der Gesundheitsförderung für Alleinerziehende ist eine nachhaltige Familienpolitik… Laut Betram et al. 2005 setzt sich eine nachhaltige Familienpolitik aus finanzieller Transfer-, Zeit- und Infrastrukturpolitik zusammen. […]
Alles in allem ist anzunehmen, dass niedrigschwellige lebensweltorientierte Angebote in Kombination mit einer besseren finanziellen Absicherung von Ein-Eltern-Familien sowie Möglichkeiten der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen wichtigen Grundbeitrag zur Gesundheitsförderung von Alleinerziehenden leisten können.“