Stats

HomePolitikAus dem wundersamen Leben von Stadträtin Finke

Aus dem wundersamen Leben von Stadträtin Finke

Wo anfangen? Als frisch gewählte Stadträtin prasseln die neuen Eindrücke nur so auf mich ein. Teilweise stehe bzw. sitze ich inmitten der den Politikbetrieb gewohnten Menschen wie ein staunendes Kind.

Ich sehe aber auch die Stadt mit neuen Augen: Durch die vielen Ausschüssse, Arbeitskreise, Beiräte, Aufsichtsräte, Runden Tische und Gespräche, die Protokolle und „Vorberatungsverläufe“, die Informationsveranstaltungen z.B. bei der Feuerwehr und die Weiterbildung im Recht für Gemeinderäte, Baurecht und Haushalt, die ich gemeinsam mit anderen neu gewählten Räten gemacht habe, dröselt sich der Wohnort „Konstanz“ in lauter Ebenen auf, die wiederum komplex miteinander verwoben sind. Das ist genauso erschlagend und gleichzeitig erhellend, wie es sich liest.

Unsere Fraktion, das Junge Forum Konstanz, hat nur 3 von den 40 Sitzen im Gemeinderat. Deswegen müssen wir drei Räte ziemlich viele Ausschüsse etc. bedienen, die Arbeitslast verteilt sich ganz anders als in Fraktionen mit 6-10 Mitgliedern im Rat, wie sie die etablierten Parteien haben. Wir sind auch keine Partei, sondern eine überparteiliche Wählervereinigung, ein buntes Gemisch aus politikinteressierten mehr oder weniger jungen Leuten – ich bin die Älteste -, die Lust haben, sich einzubringen.

Ich bin nun also zuständig bzw. unsere Vertreterin im:

  • Ausschuss für Schule, Bildung, Wissenschaft und Sport (ein riesiges Wespennest, aber spannend)
  • Jugendhilfe- und Sozialausschuss (genau meine Themen: bisher Sozialpass, Jugendamtsangelegenheiten, Kinderbetreuung, Flüchtlingskinder)
  • Arbeitskreis Runder Tisch – Begleitung von Flüchtlingen (eine Herzensangelegenheit)
  • Internationales Forum (wer, wenn nicht die Frau, die 10 Sprachen spricht und das Reisen liebt?)
  • Betriebsausschuss Medizinisches Versorgungszentrum und Spitalausschuss (dazu gehört auch das Sozialpädiatrische Zentrum für Familien, klasse!)
  • Arbeitskreis Forum Altenhilfe (fein. Meine Eltern sind Mitte 70, ich sehe „die Alten“ als Verbündete)
  • Arbeitskreis Spiel- und Freiräume (Juhu!)
  • Straßenbenennungskomission (ein Traumjob für Sprachwissenschaftler)
  • Beirat für Friedhofsangelegenheiten (ich liebe Friedhöfe. Es ist Fügung)
  • Aufsichtsrat der Flughafen-Gesellschaft (dabei ist das hier nur eine Wiese am Stadtrand)
  • Verwaltungsrat der von Wessenberg’schen Vermächtnisstiftung (besonders interessant, da geht’s um „Frühe Hilfen“ für Eltern und andere soziale Institutionen für Familien)

Obendrein haben wir jeden Montag von 18 bis etwa 20:30 eine Fraktionssitzung im Rathaus und ein Mal im Monat tagt der Gemeinderat, jeweils von etwa 16 bis 22 Uhr. Nach getaner Arbeit gehen diejenigen, die noch Lust dazu haben, hinterher noch etwas trinken – und ja, ich bin dabei. Wenn ich schon einen Babysitter habe und aus dem Haus bin, dann will ich den angenehmen Teil auch mitnehmen! In den Schulferien macht übrigens auch der Gemeinderat Sommerpause.

Rathaus Konstanz
Rathaus Konstanz

Wir haben auch noch Weiterbildung und andere freiwillige Schulungen, demnächst für das Ratsinformationssystem im Internet. So computeraffin ich bin, ich stelle eindeutig fest, dass ich am besten mit Papier, Textmarker und Kuli arbeite, obwohl wir ein Tablet als Arbeitsgerät geliehen bekommen haben. Wir Stadträte erhalten jede Woche mindestens 1 Mal einen dicken Briefumschlag mit Unterlagen, die der Sitzungsvorbereitung dienen. Diese Unterlagen werden nicht per Post verschickt, sondern mit einem eigens von der Stadt beschäftigten Boten, weil auch nicht öffentliche Informationen dabei sind – letztere müssen wir nach dem Lesen logischerweise auch entweder selbst shreddern der aber im Reißwolfcontainer im Rathaus entsorgen.

Es ist für dieses Ehrenamt sehr hilfreich, dass ich viel und gerne lese. Es kommen sicher 300 Seiten Pflichtlektüre pro Woche zusammen, und liest man noch die Geschäftsberichte, Projektbeschreibungen und Vorberatungsprotokolle (was also in den Sitzungen zuvor von einzelnen Mitglieder gesagt wurde), dann schätze ich, sind 1000 Seiten Lesestoff pro Woche nicht zu hoch angesetzt. Dieser Teil macht mir Spaß, das ist ein bisschen wie studieren.

Andererseits steckt im Lesen der Unterlagen auch viel Frustpotential: die von der Verwaltung erstellten „Beschlussvorlagen“ und „Vorlagen„, anhand derer wir Räte unsere Entscheidungen treffen, hinterlassen bei mir mit schöner Regelmäßigkeit das Gefühl, ich sollte noch viel, viel mehr wissen, sei es bei Schulangelegenheiten oder dem Städtebau. Denn die Verwaltung arbeitet dem Bürgermeister zu und natürlich verfolgen die Darstellungen in den Vorlagen das Ziel, überzeugend rüberzubringen, warum es sinnvoll ist, diesen oder jenen Beschluss zu fassen.

Dass man Sachverhalte auf mindestens eine Weise darstellen kann und gelegentlich der Teufel im Detail stecken kann, macht den Umgang mit Vorlagen zu einer wirklichen Herausforderung. Es ist ein bisschen wie ein Logikspiel. Ist das ganze stimmig? Was sagt der Bauch, was die Erfahrung, glaube ich den Expertisen der zitierten Fachleute, und was höre ich auf der Straße, von den Nachbarn zu diesem Thema? Und passt das zu dem Beschluss, der auf dem Tisch liegt und abgestimmt werden soll?

2-tägige Schulung
2-tägige Schulung

Nicht ganz ohne ist es auch, sich mit den Diskursregeln in Rat und Ausschüssen anzufreunden. Zum einen gibt’s Formalia, so etwas wie die „Redefolge“ zum Beispiel, dass also per Hauptsatzung die stärkste Fraktion zuerst spricht, wenn es um die Diskussion eines Tagesordnungspunktes geht, und nicht derjenige, der sich zuerst gemeldet hat. Das ist aber in Ordnung, wenn man sich daran gewöhnt hat, und wird auch in einzelnen Arbeitskreisen/Ausschüssen anders gehandhabt. Es hat auch Vorteile, wenn die großen Fraktionen zuerst reden, denn dann kann man sich darauf beziehen oder die Meinung noch formen, und wer zuletzt spricht, bleibt manchmal am meisten haften.

Was mich regelrecht kirre macht, ist aber, wie penetrant manche alteingesessenen Lokalpolitiker alles drei Mal sagen müssen, und zwar bis aufs Wort (gerne eingeleitet mit „Ich will mich kurz fassen….“). Das hat natürlich seinen Grund, sie sagen es ein Mal im Ausschuss, dann für die Bürger und Kollegen im Gemeinderat und ein weiteres Mal für die anwesende Presse. Und manchmal hören sich diese Leute einfach sehr gerne selbst reden, das merkt man. Das sind dann auch manchmal die Stadträte, die den Eindruck vermitteln, sie hätten sich die vorbereitenden Unterlagen gar nicht angeschaut, sondern lassen einfach ihren althergebrachten Sermon ab.

Diese Leute versetzen mich in Erstaunen, denn ausgerechnet sie wirken unheimlich selbstzufrieden, selbstsicher und unbeirrbar. Es ist die Spezies Politiker, die bei mir den Impuls auslöst, die Augen verdrehen zu wollen und die mit dafür verantwortlich ist, dass die Leute so politikverdrossen sind. Dass es durch die Bank Männer sind, die so agieren, zeigt mir, wie gut und nötig es ist, dass mehr Frauen sich aufmachen, in der Politik mitzureden.

Ich höre momentan lieber zu als selbst etwas zu sagen. In kleineren Runden, den Arbeitskreisen und Runden Tischen, äußere ich mich gerne, aber auch da nur, wenn ich etwas Neues zu sagen habe. Die anderen Politker sagen auch etwas, wenn ihr Standpunkt eigentlich längst bekannt ist oder bereits ausgeführt wurde. Das ist für mich als Neuling befremdlich. Wenn ich nichts Interessantes beizutragen habe, warum die kostbare Zeit der anderen beanspruchen? Vielleicht muss man das aber doch tun, weil es sonst so wirkt, als habe man keine Meinung. An diesem Punkt hadere ich noch. Ich habe schon in der Schule nur etwas gesagt, wenn ich um meine Meinung gefragt wurde oder dachte, ich könnte etwas so nicht stehen lassen. Aber als Stadträtin sollte ich mich wohl einfach mal äußern, nur um etwas gesagt zu haben. Andererseits – ist das nicht blöd und genau die Art von politischem Diskurs, für die ich nicht stehen will?

Was mir gut gefällt, ist die Begrüßungskultur. Bei Sitzungen jedweder Art wird sich zumindest freundlich zugenickt. Das kenne ich von der Uni nicht unbedingt so. Und auch Firmenmeetings, die ich hatte, verliefen eher nach dem Motto „Je höher der Rang, desto weniger grüßt der Mensch in den Raum.“ In der Politik, wie ich sie nun kennenlerne, gilt: „Je höher der Rang, desto Händeschütteln.“ Unser OB gibt jedem Gemeinderatsmitglied vor der Sitzung die Hand, ebenso tat es der Bundestagspolitker, der dem Runden Tisch zur Begleitung von Flüchtlingen nicht nur aufmerksam beiwohnte, sondern auch jedem Teilnehmer die Hand gab vor der Sitzung. Mit Blickkontakt, so muss das wohl. Es ist ein bisschen mühsam, und ich bin nicht ranghoch, aber ich werde versuchen, die Leute wertschätzend zu begrüßen. Das hat was.

Sitzungspause im Ratssaal
Sitzungspause im Ratssaal

Wir sprechen in der Gemeinderatssitzung übrigens in Mikrofone, denn der Raum ist groß und wenn Mitglieder der Verwaltung anwesend sind und Bürger im Zuschauerraum, dann sind gut und gerne mal 100 Menschen im Ratssaal. So ein Mikrofon löst bei mir spontane Beklemmungen aus, aber ich merke bereits nach 3 Gemeinderatssitzungen, dass ein gewisser Gewöhnungseffekt eintritt. Ach, und in der Sitzungspause, die kurz ist und spontan vom Oberbürgermeister angesetzt wird (15-20 Minuten), stehen in einem Hinterzimmer belegte Brote, Obst und süße Stückchen bereit. Verhungern muss man also nicht während einer Gemeinderatssitzung.

Andere Annehmlichkeiten dieses Ehrenamtes sind die vielen Einladungen, die einem ins Haus flattern. Nicht, dass ich sie wahrnehmen könnte, weil ich dafür wiederum einen Babysitter bräuchte und das Geld weiterhin sehr knapp ist. Aber es macht Freude zu sehen, was ich alles unternehmen könnte: Einladungen zu Vernissagen von städtischen Galerien und Museen, Ausstellungseröffnungen, Stadtführungen, Theaterpremieren, Musik- und Kulturfestivals, Literaturveranstaltungen, Jahresversammlungen mit Speis und Trank, Neueröffnungen z.B. der Sauna, eines Sportplatzes, und der Beratungsstelle für Frauen, Jubiläen von sozialen Wohnprojekten, Spatenstiche für Bauprojekte, und, und, und. Als Stadträtin wird mir so schnell nicht langweilig werden, so viel ist sicher.

Da meine Amtszeit 5 Jahre beträgt, werde ich zumindest im letzten Jahr ganz viele dieser Einladungen annehmen, dann ist die Jüngste 10, der Sohn 13 und die Große 18. Wahnsinn. Und ich kann mir dann überlegen, ob ich mich für weitere 5 Jahre aufstellen lasse. Das wird davon abhängen, ob ich das Gefühl habe, etwas bewegen zu können. Momentan kann ich mir das gut vorstellen, es macht wirklich Spaß, Stadträtin zu sein, und erweitert den Horizont.

Stadträte haben, wie ich festgestellt habe, sehr viel zu entscheiden und somit auch sehr viel Macht – nennen wir es Verantwortung. Mal gucken, was ich damit machen kann. Denn Verantwortung ist mir schon immer zugeflogen, oder habe ich sie angezogen? Egal. Ich trage sie. Punkt.

Stadrätin Finke
Linktippps innerhalb des Blogs:

Wie ich Stadträtin wurde

10 Tage Stadträtin – erste Erfahrungen

Overdressed. Des Wohngeldempfängers alte Kleider (zur Kleiderfrage im Stadtrat)