Dass die Mama nun Politik mache, sei gut, hat die Große (14) meiner Mutter am Telefon erzählt. Dann sitze sie nicht mehr nur am Computer. Ein Hauch von Rührung stieg in mir auf – sind hier nicht irgendwie die Rollen vertauscht? Sollte ich nicht diejenige sein, die sich Sorgen macht, ob die Kinder zu viel Zeit am Computer verbringen? Ja, ich weiß. Und umso schöner, dass ich nun, durch mein Ehrenamt als Stadträtin, sehr oft unter Menschen komme und viel Neues erlebe.
Vergangene Woche hatte ich viel vor: 6 Termine an 6 Tagen hintereinander. Das ist nicht immer so, es gibt auch Wochen, in denen ich außer der Fraktionssitzung am Montag um 18 Uhr gar keinen politischen Termin habe. Und dann gibt es Wochen wie die letzte, in der ich fast jeden Abend unterwegs bin. Rein vom Biorhythmus her ist das überhaupt nicht mein Ding: Selten beginnen die Sitzungen vor 16 Uhr, oft sitzen wir von 17-20 Uhr oder länger – bei Gemeinderatssitzungen ist ein Sitzungsende nach 22 Uhr nicht ungewöhnlich. Und das mir, die ich am besten zwischen 9 und 17 Uhr funktioniere, schon immer.
Im Winterhalbjahr bei Dunkelheit um 17:30 das Haus zu verlassen, um mit dem Rad zur Fraktionssitzung zu fahren, kostet mich richtig Überwindung. Wollt Ihr wissen, was ich in der letzten Woche so tat?
Montag: Fraktionssitzung von 17:45 bis 20:30
Eine Viertelstunde vor dem offiziellen und öffentlichen Beginn der Fraktionssitzung treffen wir Gemeinderäte uns, um Dinge zu besprechen, die „nicht-öffentlich“ sind. Diesmal geht es um die Besetzung einer hochrangigen, einflussreichen Stelle der Verwaltung. Wir haben die Bewerbungsunterlagen zugesandt bekommen, die Personalabteilung hat eine Vorauswahl getroffen, und drei der Bewerber werden sich am Donnerstag in der Gemeinderatssitzung im nicht-öffentlichen Teil vorstellen. Das ist immer sehr spannend, weil direkt im Anschluss danach gewählt wird, in geheimer Wahl. Der Bewerber steht so lange vor der Türe und zittert. Ich habe auch bereits bei der Wahl des neuen Hauptamtsleiters mitgestimmt, von daher kenne ich das Prozedere. Welches Amt wir in dieser Woche neu besetzen, kann ich hier nicht schreiben, weil das ein nicht-öffentlicher Vorgang ist.
Ab 18 Uhr ist dann die Türe zum Fraktionszimmer geöffnet und die anderen Mitglieder des Jungen Forums kommen nach und nach dazu. Wir haben Besuch von der Bürgergemeinschaft Allmansdorf, die ihre Position zum geplanten Pflegeheim in der Ortmitte darstellt, und vom Geschäftsführer der hiesigen Jazz- und Rockschule, die einen hohen Zuschuss bei der Stadt beantragt hat, um der Insolvenz zu entkommen. Als die Besucher uns verlassen haben, gehen wir einzelne Punkte der kommenden Ausschussitzungen durch, um eine gemeinsame Linie zu finden und Position beziehen zu können.
Um 20:30 sind wir fertig, das ist gut im Zeitrahmen – ich freue mich, denn montags passt immer meine Große (14) auf ihre Geschwister (5 und 8) auf, und es kann da schon auch Mal Streit zwischen den Geschwistern geben. Um 21 Uhr bin ich immer zuhause, länger will ich die Große nicht aufpassen lassen. Da unser Fraktionsbüro nur 5 Minuten mit dem Rad von meiner Wohnung ist und ich direkt im Haus 3 liebe Nachbarinnen habe, die bei Mord und Totschlag oder Bein ab gerne helfen, weiß ich, dass ich beruhigt zu meinen Fraktionssitzungen gehen kann. Obwohl ich montags lieber auf dem Sofa sitzen und „Wer wird Millionär?“ gucken möchte :)
Dienstag: Ausschuss für Schulen, Bildung, Wissenschaft und Sport von 16-20:30
Haushaltsberatungen. Das hatte ich mir trockener vorgestellt, ich bin erstaunt, wie nah die Diskussion „am echten Leben“ ist – da geht es tatsächlich um Grundsätzliches, aber eben teilweise auch um Details. Als wir den den Zuschuss für die Jazz- und Rockschule behandeln, gebe ich mein/unser Statement ab und erfahre auch Zustimmung von anderen Fraktionen. Ob der Zuschuss endgültig bewilligt werden wird, stimmen wir aber nicht ab, es fehlen noch Unterlagen zur Kalkulation. Die Angelegenheit wird abschließend im Haupt- und Finanzausschuss beraten werden, um dann dem Gemeinderat vorgelegt zu werden, der das letzte Wort hat.
Neben mir sitzt der ehemalige Direktor der Grundschule, auf der meine Große einst war, und einen Platz weiter der Direktor des Gymnasiums, das sie heute besucht. Als ich meiner Großen nach der ersten Schulausschusssitzung erzählte, mit dem ich dort alles tage (auch die ehemalige Leiterin ihres altstädtischen Kindergartens), erstarrte sie vor Ehrfurcht und nahm mir das Versprechen ab, sie nicht zu blamieren. Und klar – ich werde mich hüten. Aber da wir alle dort in einer Funktion sind, ist das auch nicht schwierig. Man mag politisch anderer Meinung sein, kann sich aber trotzdem respektieren. So sehe ich das.
Mittwoch: Runder Tisch zur Begleitung von Flüchtlingen von 16:30-18:45
Hier bin ich eine der Jüngsten – bis auf eine Vertreterin des Bürgeramts ist dies eine illustre Runde von ehrwürdig ergrauten Menschen, die sich besonders für Flüchtlinge einsetzen, viele von ihnen innerhalb bekannter Organisationen oder über kirchliche Institutionen. Auch von jeder Fraktion ist ein Vertreter dabei, und wir haben in loser Reihenfolge Besuch von Politikern, die zuhören und Fragen beantworten. So habe ich schon ein Mitglied des Bundestags der CDU und ein Mitglied des Landtags der SPD kennengelernt, heute ist ein Mitglied des Landtags aus den Reihen der Grünen da. Wir sprechen über die Problematik sicherer Drittstaaten, die Roma Flüchtlinge und Arbeitserlaubnisse sowie Sprachkurse für Flüchtlinge und mehr.
Donnerstag: Gemeinderatssitzung von 16-23:10
Eine Sitzung wie ein Krimi. Zuerst 2 Stunden inoffizielle Sitzung mit Wahl des zukünftigen hochrangigen Verwaltungsangestellten, was sich durch die Vorstellung der Bewerber und die anschließenden Frageminuten zieht, dann die Wahl mit Wahlurne und Zetteln. Der gewählte Bewerber wird in den Rat gerufen, er bekommt Applaus und strahlt. Ich denke an die beiden anderen, die wir nicht sehen im Moment der Niederlage. Das muss bitter sein.
Danach betritt die interessierte Öffentlichkeit in den Saal, und das sind nicht wenige (50 Leute?). Es geht um den Synagogenbau in Konstanz, und so sprechen 3 Gruppierungen der jüdischen Gemeinden, dann um den Bau eines Pflegeheims in einem Ortsteil bzw. dessen genaue Ausgestaltung in der Pflege, und um eine eventuell umzuwidmende Fahrradstraße, um nur einige der vielen TOPs (Tagesordnungspunkte) zu nennen. Speziell der Part mit der Fahrradstraße ist spannend, und nach der inhaltlichen Debatte, die natürlich schon außerhalb des Gemeinderats und auch in der Öffentlichkeit geführt wurde, kommt es zur Abstimmung, von der niemand sagen kann, wie sie ausgehen wird, nur dass sie knapp sein wird. Adrenalin pur. Und heissa, es findet sich eine Mehrheit für das politische Signal, den Autoverkehr aus der betroffenen Straße nehmen zu wollen, so gut das rechtlich geht – ich möchte das besonders der vielen Kinder wegen, die die nahegelegene Grundschule besuchen. Schon oft musste ich brenzlige Situationen beobachten, wenn ich diese Strecke fuhr. Es wäre mir sehr lieb, wenn nicht erst ein Kind angefahren werden muss, bis sich an dieser gefährlichen Ecke etwas tut.
Die Abstimmung findet erst gegen 23 Uhr statt, das Programm hat sich gezogen. Zwischendurch hat der OB versucht, durch einen Antrag auf Ende der Redebeiträge die Diskussion zu verkürzen, aber der Rat stimmte mehrheitlich dagegen. Und so fahren wir mit der Debatte fort.
Um 23:10 sind wir dann mit allen Punkten durch. Und gehen noch einen kurzen Absacker in einer Kneipe trinken – etwa die Hälfte der Räte kommt mit. Ich muss um 24 Uhr gehen, weil meine Babysitterin wartet. Sie hatte auch schon gestern, am Mittwoch, Dienst. Und am Tag zuvor war ihre Freundin bei uns zuhause, um die Kinder zu beaufsichtigen. Ich habe großes Glück mit den beiden, denn sie studieren frühkindliche Entwicklung, die Kinder lieben sie, und ich liebe sie auch. Zuhause stehen Bleche mit Butterkeksen, die meine Babysitterin mit den Kindern gebacken hat, eine selbstgemachte Pizza, und gebastelt haben sie auch. Toll.
Dass die Stadt Konstanz, wie dies einige fortschrittliche Kommunen tun, die Babysitterkosten für die Sitzungszeiten erstattet, ist für mich sehr hilfreich. Wir haben so wenig Geld, dass ich sonst noch schwerer über die Runden käme, müsste ich obendrein Geld für einen Babysitter abzwacken. Als ich mich wählen ließ, war die Bezuschussung der Kinderbetreuung noch nicht eingeführt. Ich war also entweder mutig oder optimistisch – vielleicht auch einfach finster entschlossen, etwas zu versuchen. Oder alles davon.
Freitag: Treffen für interkulturelle Begleitung 14-16 Uhr
Das lasse ich ausfallen. Ich nehme es als Wink des Schicksals, dass ich am Vortag erst gemerkt habe, dass für diese Veranstaltung eine Anmeldung nötig gewesen wäre. Als ich das bemerkte, hatte ich gemailt – und die Mail kam als unzustellbar zurück. Da es sich nicht um einen Ausschuss oder Runden Tisch handelt, ist das auch okay – andernfalls hättte ich mich entschuldigen müssen, das ist fürs Protokoll wichtig.
Samstag: informelles politisches Frauen-Netzwerk-Frühstück von 10-12 Uhr
Eine kleine Runde von sozial engagierten Frauen aus der Konstanzer Kommunalpolitik auf einen Kaffee treffen, ganz informell, das klingt nett und ist es dann auch. Also fahre ich am Samstag um 10 Uhr mit dem Rad in die Innenstadt, wo das Treffen stattfindet. Wieder passt die Große auf ihre Geschwister auf – da habe ich Glück, denn wenn sie auswärts übernachtet, fällt sie als Babysitter flach.
Ich bin eine ziemlich „gechillte“ Mutter, sagen ihre Freunde, weil ich viel erlaube in dieser Richtung, und sie auch nicht zwinge, auf ihre Freizeit zu verzichten. Im Gegenzug hilft sie mir wirklich gerne, und so ist es sehr schön. Weder komme ich mir vor wie eine Bittstellerin noch wie ein Hausdrache. Das ist etwas, was mich als Mutter glücklich macht. Meine Kinder wissen, dass sie es gut haben. Und sind auch ohne ausgeklügelte Belohnungssysteme oder Drohkulissen hilfsbereit, ich gehe mit einem guten Gefühl aus dem Haus. Als ich um 12:15 mit frischen Brötchen wiederkomme, ist alles friedlich. Schön ist das.
Sonntag
Heute ist nix, ich bin froh drum. Morgen beginnt der Reigen dann wieder mit einer Fraktionssitzung. Und dann sind zwei Wochen mit wenig Programm, was auch ganz gut, ist, weil ich auch irgendwann mal Geld verdienen muss und noch irgendwanner mal eine Pause brauche. Ich könnte allerdings quasi rund um die Woche auf Veranstaltungen gehen, wenn ich das wollte oder zeitlich einrichten könnte. Es gibt Vernissagen, Theatereinladungen, Gebäudeeröffnungen mit Musik und Empfang, Waldbegehungen, Reisen in Partnerstädte, wirklich alles, was man sich vorstellen kann. Als Stadtrat ist man ja für 5 Jahre gewählt – im letzten Jahr, das habe ich mir fest vorgenommen, nehme ich mal alles mit. Dann ist die Jüngste 10, der Sohn 13 und die Große 19. Und ich geh auf den Zwutsch.
Fazit: Politik macht Spaß. Und bringt, wie der Psychologe so schön sagt, die Erfahrung der Selbstwirksamkeit mit sich. Soll heißen: man kann eben doch etwas bewirken. Klar, es braucht Geduld, Verbündete und sicher auch Glück. Aber das ist ja überall so. Also: Eltern in die Rathäuser, damit unser Land kinderfreundlicher wird!