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Mit Baby und Bier im Gemeinderat?

Lokalpolitik mit Skandalfaktor: In Österreich gab’s vergangene Woche einen riesigen Eklat, weil eine stillende Mutter ihr Baby mit in den Gemeinderat von Innsbruck gebracht hat.

Oder weil ein Journalist das offene Geheimnis gelüftet hat, dass es im Innsbrucker Gemeinderat üblich ist, in der Sitzungspause an die Bar zu gehen und ein alkoholisches Getränk zu sich zu nehmen, woraufhin mehrere Gemeinderäte laut Berichterstattung „zumindest nicht mehr nüchtern“ waren.

Oder, das wäre die dritte Lesart, weil eine Frau mit Bierflasche und Baby im Gemeinderat saß und dieser Anblick (nicht mehr nüchterne?) konservative Kommunalpolitiker extrem verstörte. Dass es sich bei dem Bier der Mutter um ein alkoholfreies handelte, ist die große Ironie an der Geschichte, und am Ende hat ein Lokaljournalist seinen Job verloren, weil einige Kommunalpolitiker sich beschwerten.

Rush-Hour des Lebens und Vereinbarkeit von Familie und Mandat

Babys finden bei uns im Konstanzer Stadtrat, wie auch anderswo in Deutschland, eigentlich nicht statt, und Bier während der Sitzungen gibt’s auch nicht. Ersteres hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Kohorte der 30-45-Jährigen in der Kommunalpolitik (Link zu neuer, lesenswerter Publikation der eaf Berlin) nur sehr schlecht vertreten ist, insbesondere, wenn es sich um Frauen handelt. Rush-Hour des Lebens und so, und der Frauenanteil in den Parlamenten ist ja eh immer noch weit entfernt von Parität.

Die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Mandat wird oft thematisiert, aber ein System, das vorwiegend von Nicht-Sorgearbeitenden und nicht von Eltern geprägt wird, ändert sich halt nur langsam in Richtung Familienfreundlichkeit. Manche Menschen sehen auch gar keinen Grund, Änderungen anzustreben, und lehnen die Teilhabe von Menschen, „die es nicht einrichten können“, gänzlich ab – ein Demokratie-Verständnis, das ich wiederum total befremdlich finde.

Umso spannender folglich, was passieren kann, wenn sich doch mal jemand erdreistet, so einen jungen Erdenbürger mitzunehmen ins Kommunalparlament. (Wer die Nachrichten verfolgt, wird sich an weitere Aufreger alle Jubeljahre erinnern, wenn Frauen ihr Baby mit in Parlamente bringen.)

Elternzeit für Mandatsträger? Gibt’s nicht

Es gibt für Gemeinderäte in Deutschland keine Elternzeit. Das ist ein Mandat, das personengebunden ist, und wenn du wegen Schwangerschaft und Baby fehlst, dann fehlt auch deine Stimme im Gemeinderat. Es gibt keine Möglichkeit, sich vertreten zu lassen, das muss man dazu wissen. Deswegen ist es eigentlich ziemlich naheliegend, ein Baby gelegentlich mitzunehmen, wenn es denn pflegeleicht genug ist und für Mutter und Kind passt. Aber es ist eben ein ungewohnter Anblick, auch bei uns im Rat.

Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals jemand sein Baby mitgebracht hätte in den Gemeinderat. Es gab auch nicht besonders viele Babys in den 9 Jahren, die ich nun schon dabei bin – vielleicht 3, maximal 4. Und wenn ich mich richtig erinnere, dann waren das Babys von Männern, die in den Gemeinderat gewählt worden waren. Ein Fraktionskollege von mir wurde vor ein paar Jahren nochmal Vater, aber er brachte eher seinen älteren Sohn dann hie und da mal mit zu einem Spatenstich, das Baby hingegen blieb bei der Mutter zuhause. So hielten es auch die anderen frischgebackenen Eltern.

Das Baby als Stimmungsaufheller

Dies war also die Ausgangslage auch in Konstanz, bis vor 3 Wochen. Denn da geschah das Unerhörte: Ein junger Vater, Gemeinderat und Lehrer, brachte sein Baby mit in eine Sitzung. Zwar keine Gemeinderatssitzung, sondern eine Beiratssitzung, aber es war trotzdem eine Sitzung mit Wow-Effekt. Dieses Baby sorgte für ganz hervorragende Stimmung in der Runde. Wir waren etwa 15 Sitzungsteilnehmer, und es ging um kindernahe Sozialthemen, sodass das Baby auch inhaltlich gut passte, aber es war eben durchaus eine ernsthafte Angelegenheit mit Geschäftsbericht und wichtigen Tagesordnungspunkten.

Es war erstaunlich, zu sehen, wie freundlich zum Beispiel die Frau aus dem Rechnungsprüfungsamt, die dabei war, gucken kann, die auf mich sonst immer einen relativ trockenen Eindruck gemacht hatte. Angesichts des Babys bekam sie einen geradezu weichen Zug um den Mund. Und der einen Geschäftsbericht vortragende Redner erwies sich als ausgesprochen humorvoll und souverän, obwohl teils laute Geräusche vom Baby kamen und es viel Freude daran hatte, energisch auf dem IPad seines Vaters herumzuklopfen.

Papa mit Baby im Gemeinderat wird anders bewertet

So weit, so wunderbar. Aber wie wäre es gewesen, hätte die ebenfalls junge, momentan noch kinderlose Stadträtin einer anderen Fraktion ein Baby mitgebracht? Sie hatte das Baby nämlich eine Zeit lang auf dem Schoß, um den jungen Vater zu entlasten, und wie ich sie so sah, wurde mir klar, dass das Wohlwollen der Sitzungsteilnehmer wahrscheinlich wesentlich weniger stark ausgefallen wäre. Vielleicht hätte man gesagt oder gedacht, „Muss das sein?“, und „Die Frau kann wohl die Betreuung nicht richtig organisieren.“

Bei einem Mann ist das aber etwas anderes, der wird gelobt dafür, dass er sein Baby mitnimmt und sich kümmert. (Er hatte übrigens nicht einmal gefragt vorab, sondern das Baby einfach mitgenommen. Das hätte sich eine Frau wohl auch eher nicht getraut.)

Vielleicht hatte ich mich mit meiner feministischen Brille gedanklich verrannt? Um das zu überprüfen, sprach ich nach der Sitzung noch etwas länger mit den beiden, sowohl dem jungen Vater als auch mit der kinderlosen Rätin. Sie sahen jedoch genauso wie ich und hatten während der Sitzung ganz ähnliche Gedanken wie ich gehabt. Es war spannend, das miteinander durchzusprechen, weil die beiden sehr reflektierte Menschen sind, die ich schätze, und weil sie den inhärenten Sexismus ebenfalls bemerkt hatten. Das immerhin macht Mut, finde ich.

Zack, Sitzung vorbei – das Baby als Sitzungsbeschleuniger

Und eins war auch noch interessant: Diese Sitzung war viel schneller vorbei, als dies sonst bei diesem Gremium der Fall ist. Da Gemeinderatssitzungen bei uns meist elendig lange dauern, sind wir da vielleicht etwas ganz Großem auf der Spur. Babys als Sitzungsbeschleuniger und Effizienzsteigerungs-Geheimrezept, das nächste große Ding in der Kommunalpolitik!?

Die Kolumne „Stadtratsleaks“ erscheint hier exklusiv jeweils am 15. des Monats. Bisher gibt es sechs Folgen. Ich schreibe sie, um die Demokratie etwas erlebbarer zu machen.

Mit Baby im Gemeinderat
Christine mit Baby