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Offener Brief an Jenna Behrends – mit kommunalpolitischen Grüßen

Liebe Jenna Behrends,

zuerst wollte ich die Debatte an mir vorbeiziehen lassen, denn riesige Debattenwellen kenne ich selbst gut, ich stand vor einem guten Jahr im Juli im Zentrum des medialen Interesses, als ich mit einer Petition versuchte, die Bundesjugendspiele in ihrer jetzigen Form abzuschaffen, und das war enorm anstrengend, zeitraubend, aber auch lehrreich.

Aber eben habe ich in der Welt Online einen – wie ich fand sehr guten – Text über die von Ihnen nun angestoßene Debatte über Sexismus in Parteien und in Deutschland generell gelesen, in dem auch ein 5-minütiges Interview mit Ihnen gezeigt wird. Und ich dachte mir, der Frau willst du schreiben. Mein erster Impuls war, das per Mail zu tun, aber dann erinnerte ich mich, wie erschlagend viele Mails ich im vergangenen Juli erhielt, wie mein Telefon ständig bimmelte, und wie wenig Luft ich hatte, mich im Einzelnen mit den Zuschriften zu beschäftigen.

Weil das Thema aber so groß ist, und mir ebenso ein Herzensanliegen wie Ihnen, und weil ich mit meinem Blog sehr viele Leute erreiche, schreibe ich Ihnen öffentlich und maile Ihnen den Link zu meinem Brief. Ich möchte nämlich, dass diese Debatte nicht nur in den großen Medien und in einzelnen Parteien geführt wird, sondern ganz breit. Also erlaube ich mir, hier „aufzuspringen“, was eventuell die Kritik mit sich bringt, ich nutze ein populäres Thema, um mich in den Mittelpunkt zu stellen, aber das soll mich nicht aufhalten, das hat es nie.

 

Ich möchte Ihnen sagen, dass ich großen Respekt vor Ihnen habe. Gerade in der Partei, die Sie sich als Wahlheimat ausgesucht haben, solch eine Debatte loszutreten, ist mutig. Auch wenn nicht überschaubar war, zu welchen Dimensionen sich das entwickelt, so war Ihnen doch sicher klar, dass Sie sich damit Feinde machen. (Mir tat’s übrigens auch nicht leid, dass ich das mit den Bundesjugendspielen versucht habe. Hauptsache, das Thema ist platziert und wird neu gedacht. Das war mein Anliegen.)

Sie machen gerade einen Crashcurs in Sachen Öffentlichkeitsarbeit, eine Art Feuertaufe, und ich finde, Sie schlagen sich mehr als wacker. Das, was Sie tun, ist in meinen Augen ein Dienst an der Gesellschaft, denn genau solche Debatten brauchen wir, um uns zu verändern.

Auch ich habe in der Kommunalpolitik, in die ich als Bloggerin erst vor 2,5 Jahren eigentlich eher zufällig kam, oft Sexismus beobachtet und mir meinen Teil gedacht. Gesagt habe ich leider sehr selten etwas, weil frau in dem Moment, wo Ihr solche Äußerungen entgegenschlagen, einfach total perplex ist, und weil ich teils auch gar nicht wusste, wo ich denn anfangen soll mit Erklären. Dabei bin ich normalerweise schlagfertig, und immerhin gelang es mir kürzlich, in einer Gemeinderatssitzung eine abwertende Bemerkung eines politischen Gegners bravourös zu parieren. Aber so etwas braucht Übung, Mut und Entschlossenheit, und ich lerne noch.

Wir haben zu wenig Frauen in der Politik, und bei uns im Gemeinderat der Stadt Konstanz haben in den 2,5 Jahren, die ich dabei bin, schon 4 Frauen ihr Mandat niedergelegt, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen. (Wir sind jetzt nur noch 10 Frauen bei insgesamt 40 Räten.) Es ist oft ermüdend, den Männern dabei zuzuhören, wie sie sich ohne jegliche Selbstzweifel zum x.-ten Mal zu einem Thema in epischer Breite auslassen, obwohl eigentlich alles gesagt ist, wo Frauen sich kurz fassen und prägnant reden.

Unsere Stadt und unser Stadtrat ist nicht sexistischer als dies die gesamte Gesellschaft ist, wir haben sogar als stärkste politische Fraktion die Freie Grüne Liste hier, die relativ fortschrittlich mit Gender-Themen umgeht, es ist also nicht so, als sei es in Konstanz besonders schlimm – wobei wir schon eine konservative und traditionell katholische Gegend sind.

Aber Mansplaining ist in unserer Gesellschaft so normal, dass es keinem auffällt, auch in der Kommunalpolitik nicht, da wird schonmal eine gestandene Kollegin gerügt, sie müsse wissen, es verhalte sich doch soundso, dabei hatte sie alles bestens verstanden. Ich durfte mir von einem politischen Gegner anhören, ich sei „putzig“ (eine gestandene Frau im Alter von 50 Jahren mit 3 Kindern!). Einem Mann gegenüber hätte derjenige diese herablassende Äußerung nie getätigt, davon bin ich überzeugt. Genausowenig wie die Welle um die Abschaffung der Bundesjugendspiele so groß geworden wäre, wie sie wurde, hätte sich ein Mann des Themas angenommen. So aber war das auf einmal eine durchgeknallte Helikoptermutter, die die Welt aufmischen wollte. (Helikopterväter gibt’s ja nicht einmal.)

Als ich in einer politischen Diskussionsrunde im Wahlkampf darauf hinwies, dass auch ich promoviert sei, nachdem alle anwesenden männlichen Diskussionsteilnehmer mit ihrem (auch auf den Namensschildern sichtbaren) Doktortiteln vorgestellt worden waren, feindete mich ein anwesender Kommunalpolitiker erst vor Ort und später medial an, ich sei mir, so sinngemäß, wohl ohne Titel nichts Wert. Dabei stinkt es mir einfach, dass mit schöner Regelmäßigkeit der Titel bei Frauen „vergessen“ wird, während er bei Männern eigentlich immer erwähnt wird.

Es gab den absurden Moment, in dem ein Ratsmitglied über mich im Online-Magazin, dessen Verantwortlicher Redakteur er ist, schrieb, ich sei eine „selbsternannte Feministin“ – das war, als ich mich öffentlich dagegen ausgesprochen hatte, einem sehr polarisierendem Väterrechtler einen enormen Zuschuss für ein Filmprojekt zu geben, und mich selbst als Feministin bezeichnet hatte. Dieser Mann wollte also entscheiden, ob ich mich Feministin nennen darf oder nicht – Mansplaining galore.

Ein anderes Ratsmitglied gab mir zu verstehen, ich sei als Alleinerziehende eine Art Mensch zweiter Klasse, der Schuld auf sich geladen habe, weil qua Definition vor Gott gescheitert. Immerhin war dieser Mann dazu bereit, sich später mit mir über diese seine Weltsicht zu unterhalten, und schafft es mittlerweile, mich respektvoll zu grüßen. Es sind manchmal die kleinen Dinge, die einem Mut machen.

Wissen Sie was, Frau Behrends? Ich wünsche Ihnen gute Nerven, einige gute Freunde, die mit Ihnen gemeinsam den Kopf schütteln über den medialen Wahnsinn, und dann, dass Sie nach einem guten Jahr sagen können, „Ich habe etwas angestoßen und das Thema vorangebracht.“ Das ist mehr, als viele langjährige Politiker von sich sagen können. Sie machen das gut.

Herzliche Grüße, Christine Finke