Es hat ordentlich gerumpelt in der Philharmonie Konstanz, und Intendantin Pijanka stand massiv in der Kritik. Was ist passiert, und warum hat sie nun einem Aufhebungsvertrag zugestimmt? Kaum jemand blickt mehr durch, und die Berichterstattung gibt meines Erachtens die Vorgänge nur unzureichend wieder. Deswegen ist diese Kolumne aus meiner Sicht als Stadträtin ein echter Insider!
Die Sache hat nur einen Haken: Über nicht-öffentliche Dinge, die das Gemeinderatsmandat betreffen, dürfen wir Gemeinderäte und Rätinnen nicht reden, und uns daran zu halten, ist Teil des Amtseids. Es ist einigermaßen heikel und wird eine Gratwanderung sein, euch in dieser aktuellen Ausgabe der Kolumne Stadtratsleaks mitzunehmen, ohne meine Pflichten zu verletzen.
Ich will es trotzdem versuchen, weil mir die Angelegenheit keine Ruhe lässt und ich denke, Transparenz hilft der Demokratie – vielleicht auch, weil irgendwann ein Personaler, der nach Insa Pijanka im Internet sucht, hier einen Beitrag findet, der eine andere Geschichte erzählt als das, was bisher an die Öffentlichkeit gelangt ist.
Auftakt: Ein Zeitungsbericht über einen vermeintlichen Skandal in der Philharmonie Konstanz
Das Jahr war noch jung, und wir in der Kommunalpolitik eigentlich in der Sitzungspause, als in der ratsinternen Telegram-Gruppe des Jungen Forum Konstanz am Abend des 3. Januar 2023 folgende Nachricht auftauchte:
In dieser Gruppe tauschen sich die vier Mitglieder unserer Fraktion regelmäßig aus, wenn es kurzfristig etwas zu besprechen oder zu organisieren gibt. Früher waren wir bei WhatsApp, Telegram ist auch nicht optimal, ich weiß, und ich bin auch in Signal-Gruppen, das datenschutzrechtlich am besten zu sein scheint, wie ich höre.
Jedenfalls nutzen wir seit einer Weile diese Gruppe, um Rücksprache zu halten, wenn wir Abstimmungsbedarf haben. Der zweite Screenshot aus dieser Gruppe stammt vom Tag darauf, als wir über die Antwort zu einer Presseanfrage beratschlagten:
Legende:
Matthias Schäfer ist unser Fraktionsvorsitzender und Gründungsmitglied vom Jungen Forum Konstanz, genau wie ich. Außerdem sind in der Gruppe noch die Rätin Verena Vögt und Gaby Weiner, wir sind also zu viert. Die in grün hinterlegten Antworten stammen von mir. Und Karla ist nicht eine Person, sondern ein neues, gemeinnütziges Lokalmagazin – von denen auch ein Artikel zur Philharmonie erschien, aber leider erst im Nachgang, und es ging eher um die Meta-Ebene und politische Implikationen für die Zukunft als um konkrete Aufklärung der vermeintlichen Affäre.
Mein erster Gedanke, als ich den Artikel im Südkurier (in den Online Medien heißt die Ausgabe Konstanz „Seegeflüster“, daher der Name im Chat) über den „drohenden Skandal“ bei der Philharmonie Konstanz kurz nach seinem Erscheinen gelesen hatte, war: Da versucht jemand, zu Ende zu führen, was ihm oder ihr vor 3 Jahren nicht gelungen ist: nämlich die Intendantin Insa Pijanka, „vom Hof zu jagen“.
Damals waren Gerüchte gestreut worden, sie spreche zu sehr dem Alkohol zu, und überhaupt, sie sei Raucherin. Diese Gerüchte hatten diverse Medien dankbar aufgenommen, und auch in den sozialen Netzwerken wurden die böswilligen Unterstellungen reichlich geteilt und kommentiert, wie das heute so ist.
Die Vorgeschichte: Es gab bereits 2019 eine Kampagne gegen die Intendantin
Immerhin ein Redakteur des Südkuriers, nämlich Benjamin Brumm, hielt in einem Meinungsstück dagegen und nahm die Intendantin im Mai 2019 in seinem Kommentar in Schutz; Brumm wies auch ausdrücklich auf den sexistischen Aspekt der Anwürfe hin, sie trinke öffentlich zu viel Alkohol und rauche, was die Mitarbeiter „besorge“. Er konstatiert:
„…diese Angelegenheit würde Pijanka auch nicht vorgeworfen, hieße sie nicht Insa zum Vornamen, sondern Peter oder Klaus…. Insa Pijanka beteiligt sich am insbesondere im kulturellen Umfeld besonders ausgeprägten Ritual vom Gläschen danach. Ihr deshalb ein Alkoholproblem anzudichten – auf nichts anderes laufen die Gerüchte um besorgte Mitarbeiter hinaus – ist niederträchtig und unsachlich. Die gebürtige Mannheimerin hat Fehler begangen seit ihrem Start in Konstanz. Offenbar sind sie nicht schwerwiegend genug für jene, die sie gerne noch vor Ende der Probezeit im Sommer ersetzt sehen würden. Denn der jetzige Klatsch und Tratsch wirkt wie eine Verzweiflungstat und sagt mehr über diejenigen aus, die ihn vorbringen, als über Insa Pijanka.“
Es hatte also schon vor dem Ablauf der Probezeit Versuche gegeben, der Intendantin zu schaden. Der Gemeinderat zeigte sich relativ unbeeindruckt, Insa Pijanka blieb im Amt. Aber nur ein Jahr später kam es im Juni 2020 zu einem weiteren Eklat, nämlich einem öffentlich ausgetragenen Disput zwischen dem in Konstanz immer noch sehr einflussreichen und sehr gut vernetzten, damaligen Intendanten des Theaters Christoph Nix und der neuen Konstanzer Intendantin der Philharmonie, der von außen betrachtet nach „Viel Lärm um Nichts“ aussah, aber ordentlich Wellen schlug.
Damals hatte ein Mitarbeiter der Philharmonie anonym eine betriebsinterne Mail der Intendantin an Christoph Nix weitergeleitet, der sich durch den Inhalt der Mail, in der er erwähnt war, beleidigt fühlte und seinen Ärger öffentlich machte, worüber dann der Südkurier ausführlich berichtete. (Jemand hatte sich die Mühe, gemacht, diese Mail auszudrucken und anonym in den Briefkasten des Theaters zu werfen, adressiert war das Schreiben an Christoph Nix persönlich laut Südkurier.)
Wenn zwei dassselbe tun, ist es noch lange nicht das gleiche
Ungefähr um diesen Dreh herum musste die Intendantin sich auch im Gemeinderat äußern, da es in absehbarer Zukunft auch um die Frage gehen würde, ob ihr Vertrag verlängert werden sollte. Ich erinnere mich noch gut, wie ich sie im Hinterzimmer des Gemeinderats traf, wo es vor Corona noch Häppchen, Tee und Kaffee gab, als ich während der bereits laufenden Sitzung kurz etwas zu Essen holen wollte. Sie kam mir ziemlich erschüttert vor, und ich habe das zum Anlass genommen, ihr meine Solidarität zu versichern, denn mir ist klar, dass wenn ein Mann und eine Frau dasselbe tun, es in der Gesellschaft noch lange nicht gleich bewertet wird, und ich hielt und halte die Vorwürfe gegen sie für total an den Haaren herbeigezogen.
An dieser Stelle ein kleiner Zeitsprung: Frau Pijankas Vetrag als Intendantin der Philharmonie Konstanz wurde im April 2022 nach erheblichen nichtöffentlichen Diskussionen verlängert, und die Abstimmung zu ihren Gunsten fiel einigermaßen deutlich aus. Es schien erstmal Ruhe im Karton zu sein. Bis eben zu jenem Tag Anfang Januar.
Woher hatte die Lokalzeitung ihre Informationen?
Hüpfen wir also wieder in die Gegenwart: Am 04.01.2023 folgte eine Anfrage an sämtliche Fraktionen durch die Lokalzeitung, die den Stein ins Rollen gebracht hatte mit der Berichterstattung über die Philharmonie Konstanz und die vermeintlich gravierenden Verfehlungen ihrer Intendantin – was, wie wir Räte und Rätinnen hinterher erfuhren, offenbar aufgrund einer Pressemitteilung der CDU Fraktion gestartet wurde, in der Anschuldigungen erhoben wurden bzw. Fragen gestellt wurden (Diese PM liegt mir nicht vor, aber es ist bekannt, dass es sie gibt.)
Eine Presseanfrage zur „Affäre“ um die Philharmonie Konstanz versandet
Unser Fraktionsvorsitzende Matthias Schäfer, der für unsere Fraktion im Orchesterausschuss sitzt, antwortete nach Absprache in der Ratsgruppe einem Redakteur der Lokalzeitung auf seine Anfrage, wie wir die Vorgänge bewerten, via Mail folgendes:
„Vielen Dank für die Anfrage. Ihrem Teaser lässt sich entnehmen, dass Sie Dokumente vorliegen haben, zu welchen die Intendatin schon Stellung genommen hat. Ausserdem haben wir in Konstanz ein Rechnungsprüfungsamt und wir sind sicher, wir werden von neutraler offizieller Seite dazu informiert, wenn die Sitzungszeit wieder begonnen hat. Über weitere Vermutungen äußern wir uns nach Rücksprache mit meiner Fraktion nicht, auch weil es in der Vergangenheit schon mal eine sehr unschöne Kampagne gegenüber der Intendantin gegeben hat [Fettung von mir] und wir deswegen auf die uns offiziell vorgelegten Fakten warten. Darüber hinaus ist uns bezüglich der Zuschussmillionen viel wichtiger, dass wir eine zukunftsfähige überregionale Philharmonie haben, wozu wir uns bald mit einem Antrag an die Stadt wenden werden.“
In der Berichterstattung der Lokalzeitung taucht unser Statement dann so, und im Grunde sinnentstellend verkürzt auf: „Matthias Schäfer erklärt für das Junge Forum Konstanz, man warte offizielle Informationen ab.“ Das war alles. Die Kernaussage, dass wir eine erneute Kampagne für möglich halten, fand leider keinen Eingang in den Artikel.
Am Ende wird klar: Alles nur heiße Luft
Es folgten einige Beiträge über die Philharmonie Konstanz in diversen Medien, die an den Verfehlungen der Intendantin festhielten. Bis wir dann am 26.01.2023 in einer nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung aufgeklärt wurden, was das Ergebnis der internen Prüfung des Rechnungsprüfungsamtes denn ergeben habe: Im Grunde nur heiße Luft. Aber das wollte die Stadtverwaltung so nicht kommunizieren (logisch, ist ja auch peinlich!). Es hieß, man rede noch mit den Anwälten, und arbeite an einer Pressemitteilung, die in Absprache mit Frau Pijanka herausgegeben werde, was Usus ist bei strittigen Personalentscheidungen, speziell, wenn jemand einen Auflösungsvertrag vereinbart oder gekündigt wird.
Insgesamt war das für viele von uns Stadträten eine zutiefst unbefriedigende Situation. Wir wussten, dass hier einer weiblichen Führungspersönlichkeit übel mitgespielt worden war. Aber wir durften wegen der Nichtöffentlichkeit der Informationen nichts nach außen tragen, was die Intendantin entlasten könnte. Von daher beschloss meine Fraktion, einen Antrag zu stellen, den Bericht des Rechnungsprüfungsamts öffentlich zu machen – wir hatten ihn gerade ausformuliert, als vergangenen Mittwoch im Seemoz ein Artikel erschien, der genau dies abliefert, nämlich eine erneute offizielle Mitteilung der Stadt, die den Großteil der Vorwürfe öffentlich entkräftet und zeigt, dass eine Frau in Führungsposition zu Unrecht niedergemacht wurde. Da war uns die FGL, die Freie Grüne Liste zuvorgekommen, was mich aber nichtsdestotrotz freute. Das ging in die richtige Richtung, nämlich eine echte Aufklärung!
Wie konnte es dazu kommen, dass Insa Pijanka so übel mitgespielt wurde?
Ein weiterer Artikel im Seemoz vom 09.02. kritisierte, in meinen Augen völlig zu Recht, den Konstanzer Kultur- und Sozialbürgermeister Dr. Andreas Osner, der sich eben nicht schützend vor die Intendantin stellte, solange die Vorwürfe ungeklärt waren, sondern der als ihr Vorgesetzter beharrlich schwieg. Seemoz schreibt, was viele hinter den Kulissen denken: „War es ihm [dem Sozialbürgermeister] vielleicht sogar ganz recht, Insa Pijanka, gegen deren Wiederwahl er sich ausgesprochen hatte, in der Schmuddelecke zu sehen?“
Und am 10.02. steht für den Seemoz fest: „Das Ergebnis des gestrengen RPAs: Es hat keine relevanten Verfehlungen gefunden (die etwa einen Rauswurf Pijankas gerechtfertigt hätten).“
Dieser Deutung kann ich mich anschließen, und ich habe es wirklich von Anfang an so kommen sehen. Ärgerlich, dass hier eine kompetente Frau aus der Führungsposition gemobbt wurde, dass die Verwaltungsspitze das nicht verhindert hat, und dass es zwischendurch auch seitens der Lokalzeitung, die das Thema aufgrund einer Pressemitteilung der CDU Fraktion erst aufgebracht hatte, hieß, die Stadträte hätten als Aufsichtsorgan versagt. Verloren haben am Ende alle: Die Lokalzeitung hat ein Riesenfass aufgemacht, wo nix war, die Verwaltung hat Vertrauen verspielt, und führende Mitarbeiterinnen fragen sich, wer die nächste ist, der sowas passieren kann, und Insa Pijankas Karriere liegt vorerst in Scherben.
Die Gerüchteküche sagt, es steckte etwas Persönliches dahinter
Und am Schluss noch etwas aus der Gerüchteküche, das nicht nur ich gehört habe: Gut informierte Kreise sagen, es gebe nicht zuletzt persönliche Motive für diese Diffamierungskampagne. Hintergrund soll sein, dass eine ehemalige Mitarbeiterin der Philharmonie, die gute Kontakte zu den Medien habe, noch Groll gegen Insa Pijanka gehegt habe, und es ihr zu verdanken sei, dass das Ganze so hochgekocht sei. Die Pressemitteilung der CDU kam da natürlich sehr zupass.
Wie sagte mein Papa immer: Ich bekomme so viel Gehalt, weil ich im Prinzip jederzeit gefeuert werden kann. Insa Pijanka ist jetzt erstmal freigestellt, mit Gehalt. Und hat wenig Chancen, in ihrer Branche zeitnah wieder Fuß zu fassen. Wie die Führung der Philharmonie in Zukunft aussehen soll, und wer sich nun noch auf diesen Schleudersitz bewerben mag, das steht in den Sternen. Hier hat sich echt niemand mit Ruhm bekleckert. Das sind Momente, in denen es wirklich gar keine Freude macht, Stadträtin zu sein. Ich wünsche Insa Pijanka alles Gute.
Die Kolumne „Stadtratsleaks“ erscheint ein Mal im Monat hier im Blog, immer um den 10. des Monats herum. Diese etwas später, da ich noch mit den anderen Räten meiner Fraktion abstimmen wollte, ob das so in Ordnung ist.