Da bleibt also ein hochrangiger Politiker, ein Minister gar, für 3 Tage Zuhause bei seinem kranken Kind. Und dem Spiegel ist das eine Meldung Wert, die mit den Worten „Sigmar Gabriel geht erneut offensiv mit seiner Vaterschaft um“ eingeleitet wird.
Auf twitter bricht sogleich der Spott aus, es sind in erster Linie engagierte Väter, die unter dem Hashtag #offensivevaterschaft lästern (viele auch ohne Hashtag). Sie finden es albern, dass der Mann für etwas scheinbar selbstverständliches eine eigene Nachricht erhält. Twitternde Mütter ziehen nach, die werden sowieso nie gelobt, wenn sie mit kranken Kindern zuhause bleiben, da ist das ein Makel.
Aber ganz so einfach ist es nicht. Ich habe ja kürzlich bei einer Gesprächsrunde, die in der Die ZEIT abgedruckt wurde, und in der es um die Vereinbarkeit von Familie und Mandat ging, mit Katja Kipping, Kristina Schröder und Robert Habeck gesprochen. Und da wurde mir klar, unter welch enormem Druck so ein Berufspolitiker steht. Wer die Familie im eigenen Wahlkreis wohnen hat, und unter der Woche in Berlin ist, muss eigentlich immer auf Achse sein, hat fast nie frei, und Zeit für Kinder ist nicht drin. Das muss sich dringend ändern, sonst haben wir in Deutschland weiterhin hauptsächlich Männer als Politiker, deren Frauen ihnen den Rücken freihalten, wie das Teresa Bücker heute in einem anderen Kontext als der Politik auf Edition F beschrieb.
Wer will, dass kinderfreundliche und familienfreundliche Politik gemacht wird, muss auch oben ansetzen, bei den Vorbildern. Deswegen gefällt mir auch, wie Manuela Schwesig ihre zweite Elternzeit organisiert hat – nämlich mit ihrem Ehemann, der sich um das Baby kümmern wird. Wir brauchen dringend Vorbilder, Pioniere in der Politik, die solche Themen vorantreiben. Drum habe ich durchaus Respekt für Sigmar Gabriel, der für dieses Zuhausebleiben wahrscheinlich von etlichen Menschen belächelt werden wird oder dem (vielleicht durchaus zu Recht) taktische Motive dafür unterstellt werden. Er hätte ja auch einfach Zuhause bleiben können, ohne das über sein Büro mitteilen zu lassen, vermute ich mal.
Was mir aber sehr, sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang: Nehmen wir mal kurz an, eine Frau in so einem hohen Amt hätte getan, was Sigmar Gabriel dieser Tage macht. Dann hätte es geheißen „Sie ist überfordert mit dem Amt“, „Sie bekommt das nicht hin“, es wäre entweder keine Meldung oder ein Makel gewesen. Und solange DAS so ist, sind wir sehr weit von Gleichberechtigung entfernt, egal ob Ministerin oder Verkäuferin.
Anatol Stefanowitsch bringt es auf den Punkt:
Sigmar Gabriel passt zwei Tage auf sein krankes Kind auf. Nehmt das, smoothietrinkende Business-Frauen.
— Anatol Stefanowitsch (@astefanowitsch) February 9, 2016
Und die Begründung von Gabriel, warum er sich um sein krankes Kind kümmere, bekommt von mir auch keine Sympathiepunkte. „Ich bin in den nächsten Tagen häufiger zu Hause, weil meine Frau den Spruch, dass ich immer ganz Wichtiges zu tun hätte, wenn’s zu Hause mal Probleme gibt, nur begrenzt erträgt“, soll er laut Spiegel gesagt haben.
Mag sein, dass das witzig gemeint war. Wenn ich seine Frau wäre, würde ich das jedenfalls nicht lustig finden. Aber das liegt sicher nur daran, dass ich sowieso die ganze Zeit alles alleine mache.
Nachtrag vom 10.02.2016: Nach dem Schreiben dieses Textes wurde ich diesen aktuellen Artikel im Spiegel aufmerksam, in dem genau das passiert, was ich „an die Wand gemalt“ habe. Manuela Schwesig wird angegriffen, weil sie Familie und Beruf nicht unter den Hut bekomme: „Nicht erreichbar“. Tja.