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Warum sind so wenig Frauen in der Politik, Christine?

Ich habe gestern versucht, meinen Fraktionsfreunden zu erklären, warum Frauen in der Politik so selten zu finden sind, aber ich erntete ziemlich verständnislose Blicke. Sie glauben mir nicht. (Spoiler: Wahrscheinlich, weil ich als feministische Gender-Tante nicht kompetent bin. Warum das witzig ist, erfahrt Ihr im mittleren Teil dieses Texts.)

„Wir brauchen mehr Frauen bei uns in der Fraktion!“, das ist keine originelle Feststellung, und wir haben sie in den vergangenen 4 Jahren, die es das Junge Forum Konstanz als Wählervereinigung gibt, schon oft getroffen. Aber aus irgendeinem Grund ist es uns nicht gelungen, weibliche Neumitglieder dauerhaft zu halten und zu gewinnen. Woran liegt das?

Die Erklärungen, die ich spontan gab, sind gar nicht so abwegig, und ein Resultat dessen, was ich las zum Thema Frauen und Politik sowie eigener Erfahrungen. Aber Männern scheint das, was ich als Gründe für die Frauenknappheit angab, vollkommen fremd zu sein – bzw. sie beanspruchen, dass all dies doch für sie auch gelte. (Das klingt paradox, soll aber zeigen, dass sogar die modernen, gut gebildeten, sehr netten und aufgeschlossenen Männer in meiner Fraktion sich nur unzureichend in die Lage von Frauen versetzen können.)

Wir brauchen also ein paar engagierte Frauen. Aber wir finden sie nicht, oder sie finden uns nicht. Und weil ich diese Gedanken gerne weiterspinnen möchte, eben um vielleicht doch mehr Frauen für die Kommunalwahlen 2019 bewegen zu können, sich einer Fraktion (am besten unserer, wenn’s passt) anzuschließen, möchte ich das gerne mal mit euch durchdenken. Ich brauche Input!

Die Gründe, warum Frauen nicht so häufig in die Politik gehen

Nicht nach Wichtigkeit sortiert, sondern in der Reihenfolge, in der sie mir einfallen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Unfehlbarkeit:

  • Es fehlt an Vorbildern
  • Ausufernde Sitzungen mit langen, selbstverliebten Redebeiträgen (die statistisch gesehen von Männern kommen) nerven sie extrem
  • Sie machen als Partnerin/Mutter den Großteil der Care-Arbeit und Hausarbeit Zuhause, auch wenn sie voll berufstätig sind
  • Frauen sind weniger wettbewerbsorientiert als Männer sozialisiert
  • Sie haben eher Zweifel an ihrer Kompetenz
  • Die Kompetenz von Frauen wird eher angezweifelt (während Männer sich und ihre Leistungen tendenziell überschätzen)
  • Sind sie zielstrebig und fordernd, viel gelten sie als unsympathisch und zickig, während diese Eigenschaften bei Männern als Durchsetzungsfähigkeit gewertet werden, was es schwierig macht, sich durchzusetzen in einem männerdominierten Politikbetrieb
  • Frauen fehlen Netzwerke und Seilschaften in der Politik
  • Frauen priorisieren anders, weil sie weniger Zeit und ein geringeres Einkommen haben als Männer, speziell, wenn sie Familie haben (Gender Pay Gap, traditionelle Rollenverteilung)
  • Der „mental work load“, die Verantwortung für die Organisation der Familie, liegt fast immer bei den Frauen, ihre Auslastung ist höher, als das sichtbar ist

Es sind im Grunde dieselben Dinge, die dafür sorgen, dass Frauen weniger häufig Karriere machen – siehe dazu auch die Thesen zur Verhaltensökonomie und Gleichstellung von Iris Bohnet, deren Buch ich kürzlich hier im Blog vorstellte.

„Wie kann man das also ändern?“

Das wollte unser Vereinsvorsitzender von mir wissen. Ich sagte, was ich immer sage, dass ich nämlich glaube, es wird ohne Quote nicht gehen – das war die gesamtgesellschaftliche Antwort. Aber wie wir als Fraktion das im Kleinen ändern können, weiß ich nicht. Wir wollen ja nicht erst seit gestern mehr Frauen in unseren Reihen haben. Aber alle, die wir ansprachen und die zum Schnuppern vorbeikamen, sprangen wieder ab. Einige zwar erst nach Wochen oder Monaten, aber im Endeffekt bin ich die einzige Frau, die aus der Gründungsphase noch dabei ist.

Schauen wir uns zum Beispiel mal an, wer gestern zur Fraktionssitzung gekommen war: Die beiden männlichen Räte Thomas und Matthias, eine Handvoll weiterer männlicher Vereinsmitglieder und zwei Frauen, die nur zum Jungen Forum Konstanz gestoßen sind, weil ihre Partner sich uns angeschlossen haben und sie irgendwann aus Neugierde mitkamen. Die eine ist seit neuestem unsere Fraktionsassistentin, die andere macht seit vergangenem Sommer unsere Pressearbeit. Und die Fraktionssitzungen sind sowas wie ein gemeinsames Hobby für die beiden Paare, würde ich sagen. Anna und Verena machen das gut, aber ohne ihre Männer wären sie nicht zu uns gestoßen.

Fehlt den Frauen Zeit oder Interesse an der Politik?

Ich war lange Zeit die einzige Frau, die regelmäßig zu den Fraktionssitzungen kam, bis eine weitere Rätin, die momentan verreist ist, aus einer anderen Fraktion zu uns „rübermachte“, und ich habe mir die Frage, wo ich vor Ort engagierte Frauen finde, die in der Kommunalpolitik mitmischen wollen, schon oft gestellt. Aber alle Frauen, die mir einfallen, sind bis über beide Ohren beschäftigt und haben Null Kapazitäten.

Kennen wir also die falschen Frauen oder gehen wir als Fraktion es falsch an? Habt Ihr Ideen? Wie macht Ihr das, falls Ihr in der Politik seid? Und wie würdet Ihr angesprochen/gefunden werden können, wenn wir jemanden wie dich suchen? Über Kommentare freue ich mich diesmal besonders.

(Wenn ich mir anschaue, wie ich zur Politik kam, dann war das ein reiner Zufall, der ohne diesen Blog niemals passiert wäre. Und ausgerechnet ich bin nun Gründungsveteranin. Schon ulkig.)

Linktipp: Publikation des Familienmisteriums „Wege und Erfahrungen von Kommunalpolitikerinnen“