Fast 10.000 Follower hat der „King of Konjunktiv“ und „Lunatic“. Er scheut das Rampenlicht und ist sehr zurückhaltend mit persönlichen Informationen, ist gleichzeitig ausgesucht höflich, was teils Tweets mit derber Sprache wiederum kompensieren, und er ist, wie man auf seinem (bis 2012 aktualisierten) Blog imuebrigen sehen kann, ein Mann, der mit Worten lyrische Kunstwerke schafft.
Der Account des Mann vom Balkon ist sehr vielseitig – es geht nicht immer nur feingeistig zu, aber er ist immer auf eine ganz spezielle Art ernsthaft. Schmunzeln ja, auf die Schenkel klopfen vor Lachen, nein. Verschmitzt – das Attribut beschreibt seinen Stil für mich am ehesten.
Die Gesichtserkennung meines Spiegels ist defekt.
— Mann vom Balkon (@MannvomBalkon) June 8, 2013
Ich sehne was was du nicht sehnst.
— Mann vom Balkon (@MannvomBalkon) July 23, 2013
Mein Eindruck vom Mann vom Balkon
Ganz schwierig. Ich stelle mir einen Mann zwischen 30 und 40 vor, der im Medienbereich arbeitet. Vielleicht beim Fernsehen, denn hie und da rutschte ihm ein Tweet raus, der mich das denken ließ. Er hat Außentermine, bei denen er den Blick nach oben wendet und die Ästhetik von Treppenaufgängen in öffentlichen Gebäuden festhält.
Seine Hände sind Bürohände, weiß und schmal, ich kann mir nicht vorstellen, dass er damit im Garten arbeitet, obwohl er oft Blumen fotografiert – die in Tontöpfen wachsen und tatsächlich auf das Vorhandenseins eines Balkons hindeuten. Ich sehe ihn in einer geräumigen Altbauwohnung in Charlottenburg mit hohen Räumen und Stuck, und vielen Durchgangszimmern. Kein Reihenhaus-Mann. Und auch kein kühles Penthouse.
Habe ich Sie halbwegs treffend wahrgenommen, Mann vom Balkon?
Durchaus. Ich fühle mich wiedererkannt. Tatsächlich arbeite ich fürs Fernsehen, und tatsächlich komme ich dabei herum. Ein paar Details Ihrer Mutmaßungen weichen allerdings auf schmeichelhafte Weise von der Realität ab. So gibt es in meiner keineswegs weitläufigen Wohnung keine Stuckdecke, sondern eine schnöde Gipskartonverkleidung. Aber solche Korrekturen würden ja das ganze schöne Bild kaputt machen, das andere offenbar von mir haben.
Siezen Sie im Real Life auch lieber, als zu duzen?
Ja, das ist so. In der Medienbranche wird gewöhnlich geduzt, als gäbe es kein Morgen. Mir ist das zu distanzlos. Es verschleiert auch die tatsächlichen Verhältnisse in den Redaktionen, wo es zum Teil eine sehr strenge Hierarchie gibt und es mit der Freundlichkeit schmerzhaft schnell vorbei sein kann. Außerdem ist es für mich eine Respektsbekundung gegenüber Gesprächspartnern. Ganz abgesehen davon, dass man per Sie auch im Streit mit sehr viel feinerer Klinge fechten und Argumente viel stärker zuspitzen kann. Das mag ich.
Wann haben Sie angefangen mit dem Twittern?
Das war im September 2009. Ich konnte mich nach einer Knie-Operation für eine Woche so gut wie nicht bewegen. Damit kam ich der Grundhaltung des idealtypischen Twitterers schon ziemlich nahe – auf dem Sofa herumhängen und missmutig auf die Welt da draußen schauen, zu der man keinen rechten Zugang hat. In diesem Augenblick mussten Twitter und ich einfach zueinander finden.
Sie lehnen Hashtags ab. Warum?
Diese demonstrative Ablehnung ist natürlich Sarkasmus. Bestimmt gibt es Situationen, in denen Hashtags nützlich sind, und bestimmt gibt es Personen, die Hashtags für ihre Weise, Twitter zu nutzen, als sehr vorteilhaft empfinden.
Für mich persönlich ist Twitter als Nachrichtendienst aber uninteressant. Ich mag elegante Formulierungen, verblüffende Sprachspiele, schimmernde Pointen. Ich finde den Gedanken faszinierend, ein Tweet sei eine moderne literarische Form, eine Art Aphorismus 2.0. Ein Hashtag stört da einfach. Er macht eine einzigartige Idee zum Futter für Suchalgorithmen. Er ist hässlich. Ganz oft überflüssig. Als hätte man eine gute Flasche Rotwein, die per Etikett als „Flüssigkeit“ gekennzeichnet ist.
In Ihrem Profil steht „Sekretariat von Herr van Bohm“. Sind Sie Freunde? Oder wie dürfen wir uns das erklären?
Überraschenderweise ist es genau wie Sie vermuten. Wir sind befreundet. Der feine Herr van Bohm schrieb dann irgendwann in seine Twitter-Bio „Sekretär: Mann vom Balkon“. Warum, ist mir bis heute unerfindlich. Womöglich, um Verwirrung zu stiften. Ich wollte dann möglichen Hilfesuchenden ein wenig Orientierung anbieten und richtete pro forma dieses „Sekretariat“ ein. Glücklicherweise hat sich bislang niemand mit einem Anliegen, den Herrn Bohm betreffend, an mich gerichtet.
Haben Sie überhaupt einen Balkon?
Oh ja. Der existiert wirklich. Ohne Geranien respektive Pelargonien allerdings, die ich ganz und gar nicht mag. Dafür mit Walderdbeeren, Ehrenpreis, Storchschnabel, Johanniskraut und Tomaten.
Lese- und Rechthabschwäche.
— Mann vom Balkon (@MannvomBalkon) June 8, 2013
Die Sätze filetieren, von den Wörtern die Knochen, die Sehnen und alles Fett entfernen, sich wundern, dass man nicht satt wird.
— Mann vom Balkon (@MannvomBalkon) June 10, 2013
Linktipp innerhalb des Blogs: Twitterer im Interview: Gebbi Gibson