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Neuordnung von Sorge- und Umgangsrecht – so nicht, liebe Bundesregierung!

Als wäre es nicht schon schwierig genug für Alleinerziehende – nein, jetzt drohen auch noch weitere Verschlechterungen für alleinerziehende Eltern.

Das ganze läuft unter dem Deckmantel „moderne Familienpolitik“, ist aber nichts anderes als das Resultat massiver Lobbyarbeit von Väterverbänden und Politikern, die Gleichstellungsfreundlichkeit nur vorschützen.

Worum geht es? Kinderrechte, Kindeswillen, oder doch die Eltern- bzw. Väterrechte?

Vor ein paar Tagen sickerte durch, dass eine Arbeitsgruppe im Auftrag des Bundesministeriums für Verbraucherschutz und Justiz weitreichende Gesetzesänderungen empfiehlt, die Familien in Trennung und Scheidung betreffen werden. (Hier der Link zum Originaldoc beim BMfSJ)

Eigentlich eine gute Sache, haben wir doch reichlich Reformbedarf. Alleinerziehende sind mit den Pflichten rund ums Kind weitestgehend alleingelassen, Rechte hingegen dürfen die anderen Elternteile (meist Väter) hingegen jetzt schon reichlich einfordern. Den Ansatz, hier Dinge grundlegend neu zu ordnen, ist also erst einmal gut. Was dabei aber herausgekommen ist, ist eine Katastrophe aus feministischer Sicht. Denn weder ist der Gewaltschutz darin berücksichtigt, noch die Kinderrechte.

Das gesamte Papier fokussiert sich auf Elternrechte anstatt auf das Kindeswohl, und unterscheidet auch nicht zwischen Kindeswohl und Kindeswillen. (Das ist ein gewichtiger Unterschied, der in der unten in Auszügen zitierten Stellungnahme des sehr engagierten Vereins Mia e.V. erklärt wird.) Was wir bräuchten, wäre die Umsetzung der Istanbul Konvention, die Deutschland unterschrieben hat, und die Frauen und Kinder vor häuslicher Gewalt schützen soll.

Statt Reformen drohen Verschlechterungen für Alleinerziehende

Was wir bekommen, sind weiter ausgebaute Väterrechte. Das kann es nicht sein. Und deswegen stelle ich auf meinem Blog Platz und Reichweite zur Verfügung, um die eindringliche und sachliche Stellungnahme von Mia e.V. zu verbreiten.

Sie mahnt Verbesserungen bei der Qualifikation von Gutachtern, Verfahrensbeiständen, Mediatoren und FamilienrichterInnen an – dies sind Maßnahmen, die Experten schon lange fordern. Sie erinnert daran, dass steuerrechtliche Reformen nötig sind, gleichstellungsorientierte Folgeabschätzungen der von dieser Expertenkommission ausgesprochenen Empfehlungen, und dass Frauen, die sich bereits in der Schwangerschaft trennen, eventuell lebenslang Macht und Kontrolle durch den Erzeuger des Kinds ausgesetzt sind, wenn diese Änderungen so kommen.

Auch ist noch völlig unklar, wie es gehen soll, dass einerseits zukünftig das Sorgerecht nicht mehr entzogen werden können soll, andererseits aber die Ausübung des Sorgerechts einem der Elternteile zugesprochen werden kann.

Wie genau die Problematik aussieht, erklärt das Paper auf S. 7 (Die Stellungnahme hat 11 Seiten. Ich empfehle allen, die sich für Familienpolitik interessieren, es vollständig zu lesen, denn von einer Scheidung/Trennung sind sehr viele Familien betroffen!).

Auszug der Stellungnahme zu den Umgangs- und Sorgerechtsreformen von Mia e.V.

Der Vorschlag der Kommission zum automatischen gemeinsamen Sorgerecht ab Geburt für beide Eltern, so Mia e.V.,

„… erweckt den irreführenden Eindruck, ein gemeinsames Sorgerecht sei in Deutschland für nicht verheiratete Paare nicht möglich. Der überwiegende Teil unverheirateter Paare entscheidet sich jedoch bereits vor der Geburt für ein gemeinsames Sorgerecht, erhält es durch spätere Eheschließung oder auf Antrag des Vaters. Insofern ist ein rechtlicher Automatismus dahingehend nicht nur eine überflüssige, sondern auch hochproblematische Regelung.

Dieser Ansatz wurde in der letzten Sorgerechtsreform 2013 bewusst abgelehnt:“Der Gesetzgeber muss sich am Leitbild orientieren, dass die gemeinsame Sorgetragung in der Regel dem Kindeswohl entspricht; wohlwissend, dass es davon Ausnahmen gibt.​ Die gemeinsame Sorgetragung setzt den Willen des Vaters, sich gleichwertig beteiligen zu wollen​ und eine Initiative des Vaters, mit der er dies erklärt,​ voraus​. Dies kann niedrigschwellig dokumentiert werden, indem der Vater seinen Willen zur Mitsorge durch einen Antrag bekundet. ​Das Antragserfordernis verhindert, dass Väter mitsorgeberechtigt werden, die kein Interesse an ihrem Kind haben.“

Gravierende Probleme ergeben sich in Konstellationen, in denen die Eltern nie in einer Beziehung zusammengelebt oder sich bereits während der Schwangerschaft getrennt haben und die Väter nicht willens sind, Verantwortung für ein Kind zu tragen. Auch diese Väter würden automatisch das gemeinsame Sorgerecht erhalten. Formal gleiche Rechte dürfen jedoch nicht zu einer Benachteiligung von Kindern und Müttern führen. Es ist auf die tatsächlichen Gleichstellungseffekte infolge von Rechtevergaben zu achten.Ein gemeinsames Sorgerecht, das den Interessen des Vaters entgegensteht, kann nicht dem Kindeswohl dienen.

Bereits 2008 stellte das BVerfG fest, dass ein unwilliger Vater nicht zu regelmäßigem Umgang mitseinem Kind gezwungen werden kann. Väter, die bewusst keinen oder äußerst sporadischen Umgang zu ihren Kindern pflegen, wären nun gezwungen, Entscheidungen wie die richtige Schulwahl oder über die Notwendigkeit einer Psychotherapie mit zu treffen. Diese würden jeglicher Grundlage entbehren. Im Konfliktfall oder bei fehlender Rückmeldung im Entscheidungsprozess müsste jedes Mal das Familiengericht anrufen werden. Die Belastungen für Mütter und Kinder, die daraus entstehen, dürfen nicht bagatellisiert werden.

Die aktuelle Regelung, in der unverheiratete Väter einen Antrag auf gemeinsames Sorgerecht stellen müssen, um ihr Interesse am Kind zu bekunden, soll vor den benannten Missständen schützen. Der Antrag des rechtlichen Vaters kann bereits heute nur in sehr seltenen Fällen abgelehnt werden, nämlich dann, wenn die Mutter beweist, dass die gemeinsame Sorge zu einer Gefährdung des Kindeswohls führen würde. Dieses Widerspruchsrecht der Mutter entfiele bei einem Automatismusbezüglich des gemeinsamen Sorgerechts.

Auch ist nicht klar, wie Frauen vor Gewalt und Missbrauch des genetischen und/oder rechtlichen Kindsvaters geschützt werden sollen. Der Antrag zur Sorgerechtsreform, die 2013 in Kraft trat, merkte dazu an:“Der Schutz vor Gewalt muss auch in den Entscheidungen über Sorgerecht (und Umgangsrecht) berücksichtigt werden. Die Unversehrtheit von Frauen und Kindern hat Priorität. Insbesondere für Frauen, die mit ihren Kindern zum Schutz in ein Frauenhaus geflohen sind, ist die Praktizierung eines gemeinsamen Sorge- und Umgangrechts nicht möglich.“

Neben körperlicher Gewalt spielt auch psychische Gewalt eine Rolle, indem Väter über das gemeinsame Sorgerecht Macht und Kontrolle über die Mutter ausüben. Sicherlich ist den veränderten Lebensbedingungen Rechnung zu tragen. Im Vergleich zu früheren Generationen entscheiden sich immer mehr Paare dafür, unverheiratet zu bleiben oder erst später zu heiraten und dennoch eine Familie zu gründen. Im Jahr 2015 lebten beispielsweise 10,54 Prozent aller Kinder unter 18 Jahren im Haushalt ihrer unverheirateten Eltern.

Um die Rechte dieser Väter zu stärken, könnte z.B. ein gemeinsames Sorgerecht begründet werden, wenn die Eltern bei der Anerkennung der Vaterschaft in einem gemeinsamen Haushalt leben. Hier kann ein Interesse des Vaters am Kind angenommen werden. Diese Möglichkeit wurde bereits 2018 auf dem 72. DeutschenJuristentag diskutiert und in Betracht gezogen. Analog zu den aufgestellten Thesen der Arbeitsgruppe würde dies bedeuten, dass der unverheiratete rechtliche Vater, der noch nie mit seinem Kind zusammengelebt hat, Inhaber des Sorgerechts ist, das Recht auf Ausübung aber zunächst bei der Mutter alleine verbleiben müsste, solange kein Antrag gestellt wird.

Unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten für unverheiratete Eltern, die sich bereits vor der Geburt getrennt oder nie eine Beziehung geführt haben und der niedrigschwelligen Möglichkeit für unverheiratete Väter das Sorgerecht zu erlangen, stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der vorgestellten These. Notwendig wäre dagegen in jedem Fall eine Aufklärung werdender Eltern hinsichtlich der rechtlichen Tragweite ihrer jeweiligen Entscheidung, solange man nicht das deutsche Sorgerecht von Grund auf reformiert und die Rechte des Kindes in den Mittelpunkt stellt, anstatt das Recht der Eltern am Kind weiter voranzutreiben.“

Kommt mit dem neuen Sorge- und Umgangsrecht das Wechselmodell als Standard durch die Hintertüre?

Dies ist, wie gesagt, nur ein Punkt in den allesamt mit Fußnoten belegten Ausführungen der Expertinnen von Mia e.V. zu den wenig hilfreichen bis desaströsen Vorschlägen der Kommission, die im Auftrag des Justizminsteriums tätig war.

Was bedeutet das also jetzt? Mia e.V. zieht aus den Vorschlägen der Kommission ein Fazit, das ich teile: „Aus dem Thesenpapier ergibt sich der Eindruck, dass durch einen Automatismus im sehr weitreichenden Sorgerecht und dem zeitgleich geforderten Rückzug der gerichtlichen Entscheidungsbefugnisse das Wechselmodell als Standard durch die Hintertür etabliert werden soll.“ (S. 4)

Und auch der Einschätzung „Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Expertengruppe weder Kinderrechte noch das Kindeswohl umfassend und für alle Kinder in ihrem Thesenpapier berücksichtigt hat“ (S. 10)  von Mia e.V. muss ich leider zustimmen.

Auch der Deutsche Juristinnenbund und der Dachverband der Deutschen Frauenhäuser bff werden das Thema Reform des Sorge- und Umgangsrechts aufmerksam und kritisch begleiten, wie mir auf twitter versichert wurde. Das wird auch nötig sein. Denn sonst wird das ganz großer Korks, der Frauen und Kindern schadet. Und dabei ist die Situation schon jetzt wirklich alles andere als rosig für Fraue in Trennungssituationen.