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Kritik am Selbstbestimmungsgesetz – mein Brief an Lisa Paus

Sehr geehrte Frau Ministerin, liebe Lisa Paus,

vor 4 Jahren liefen wir gemeinsam auf der ersten Demo gegen Kinderarmut mitten durch Berlin und unterhielten uns, und ich erinnere mich an ein gutes Gespräch. Damals haben wir uns geduzt, aber aus Respekt vor dem Amt und auch vor Ihrer Person halte ich das in diesem Brief nicht für angemessen. Es soll aber bitte als ausdrückliche Wertschätzung verstanden werden, nicht als Zeichen von Distanzierung, denn ich bin ein Fan Ihrer politischen Arbeit.

Drum habe ich mich auch sehr gefreut, als ich hörte, dass Sie nach Anne Spiegel unsere neue Familienministerin werden sollten, und ich freue mich nach wie vor darüber, dass Sie dieses Amt ausüben. Ich sehe Sie als Kämpferin für Gleichstellung, Frauen- und Kinderrechte (ebenso wie die Staatsministerin Ekin Deligöz, die ich persönlich kennengelernt habe, als ich 2018 als Rednerin bei der Delegiertenkonferenz der Bayerischen Grünen auftrat), und deswegen schreibe ich Ihnen heute.

Es bereitet mir, wie Sie auf Twitter vielleicht mitbekommen haben, große Bauchschmerzen, wie wenig beim kommenden Selbstbestimmungsgesetz an die Belange von Frauen, insbesondere traumatisierten Frauen, gedacht wird. Ich habe in den vergangenen Tagen mit einigen grünen Frauen gesprochen (auf allen politischen Ebenen), und fast alle von denen hatten keine Ahnung, um was es bei dem Selbstbestimmungsgesetz und dem sehr lauten Streit darüber eigentlich geht. Das verstehe ich, denn in der Politik gibt es gerade wirklich akute, dringende Themen, und niemand hat Zeit, sich in der Tiefe mit allen Themen zu befassen.

Aber Sie als Familienministerin sollen und dürfen das ja von Amts wegen. Und drum komme ich nach der langen Vorrede zu meinem Anliegen: Ich möchte Sie darum bitten, meine Bedenken anzuhören.

Natürlich sollen trans Personen Schutz vor Gewalt und Diskriminierung erfahren, und natürlich muss das Transsexuellengesetz reformiert werden. Darüber, dass jeder Mensch Menschenrechte hat, müssen wir nicht diskutieren. Allerdings ist es mir ein wichtiges Anliegen, dass die Neuausgestaltung der Gesetzeslage nicht zulasten von Kindern und Frauen geht.

Aber das Gesetz wird Auswirkungen auf vielen Ebenen haben, es geht absolut nicht nur um eine Änderung des Personenstands und des Vornamens, auch wenn dies von Befürwortern gerne so dargestellt wird.

Folgende Punkte halte ich in Sachen Selbstbstimmungsgesetz für besonders problematisch:

  1. Viele Frauen werden Opfer von Gewalt durch Männer. Etliche Frauen sind traumatisiert, und gerade sie brauchen reine Frauenräume. Dabei meine ich nicht nur Frauenhäuser, die ja Einzelfallentscheidungen bei trans Personen treffen können und dies sicherlich verantwortungsvoll tun, sondern sämtliche Räume, in denen Frauen bisher unter sich sein können. Schon das Vorhandensein von tiefer Stimme, männlicher Statur und natürlich das der primären Geschlechtsmerkmale kann hier triggern (So ging es auch mir in der Zeit nach der erlebten Gewalt durch meinen Expartner). Gewaltbetroffene Frauen brauchen Zeit, Therapie und Räume, in denen sie sich sicher fühlen – tun sie das nicht, ziehen sie sich zurück. Dabei leben traumatisierte Frauen meist eh schon sehr zurückgezogen.
  1. Es wird sehr einfach sein, zukünftig als Mann in Frauenräume einzudringen, selbst ohne dass der Mann sich als trans Person identifiziert oder gar eine Änderung seines Personenstands vorgenommen hat. Ein biologischer Mann in Frauenräumen kann davon ausgehen, dass sich niemand traut, ihn zu fragen, was er da sucht. Das öffnet Missbrauch Tür und Tor (und der muss nicht unbedingt körperlich sein.) Voyeure, Exhibitionisten, Sexualstraftäter, sie alle dürften sich sehr freuen über die anstehende Gesetzesänderung. (Siehe dazu das Interview des Strafverteidigers Udo Vetter in der nzz vom 18.08.2022).
  1. Der komplette Wegfall von Gutachten (das Bundesverfassungsgericht hatte nicht die Existenz von Gutachten per se als verfassungswidrig beanstandet, sondern deren Ausgestaltung) sorgt dafür, dass es keine Instanz gibt, die die Ernsthaftigkeit und Sinnhaftigkeit des Transitionswunsches sachlich beurteilt. In familiengerichtlichen Verfahren übrigens müssen Frauen oft sehr viel Geld für gerichtlich angeordnete Gutachten ausgeben, die z.B. ihre Erziehungsfähigkeit und Zurechnungsfähigkeit belegen sollen. Ich sehe hier eine Ungleichbehandlung.
  1. Frauenförderung, Frauenpreise und -stipendien, Frauensport und Frauenquoten sind damit in meinen Augen im Grunde hinfällig. Aber leider nicht, weil wir sie nicht mehr brauchen, sondern weil sich jedermann dort hinein identifizieren kann. Selbst wenn es sich um eine trans Person handelt, so hat diese als Transfrau z.B. im Frauensport körperliche Vorteile, die fairen Wettbewerb nicht zulassen. Hier auf eine Regelung der Sportverbände zu setzen, halte ich für einen gangbaren Weg, aber mein Vertrauen in die dortigen Funktionäre ist aufgrund der Strukturen nicht wirklich hoch.

Es gäbe noch mehr und vieles zu sagen, und eigentlich können das Andere viel besser, die sich als Aktivistinnen tief in das Thema eingearbeitet haben. Diese Frauen finden Sie auch in den Reihen ihrer eigenen Partei. Vielleicht sprechen Sie auch mal mit Inge Bell von Terre de Femmes Deutschland, wo gerade wegen eines angeblich transfeindlichen Positionspapiers zum Selbstbestimmungsgesetz ein großer Streit zwischen Vorstand und Basis tobt. Auch mir wird nachgesagt, transfeindlich zu sein, so wie auch allen anderen Frauen, die Fragen und Kritik zum geplanten Gesetzesvorhaben haben. Wir werden als „Terfs“ entmenschlicht und beschimpft, in eine rechte Ecke gerückt, mit Nazis verglichen, und sämtliche Einwände werden als faschistoid dargestellt. Das ist ein zutiefst undemokratisches Verhalten, das mich als ehrenamtliche Kommunalpolitikerin entsetzt.

Es ist auch kein Zufall, dass ich vornehmlich auf Männer und Transfrauen eingehe in diesem Brief, denn weder sind Transmänner eine besonders aggressive und politisch laute Gruppe, noch geht von ihnen eine nennenswerte Gefahr für Frauen und Kinder aus. Es war ein Transmann, der sich bei dem gewaltsamen Vorfall auf dem CSD in Münster schützend vor die Lesben stellte, die ein männlicher Täter anpöbelte und angriff. Und an dieser Stelle sei noch gesagt, dass ich viele Lesben in meinem Freundeskreis habe, die sich von den aktuellen Entwicklungen bedroht sehen, denn es gibt Transaktivisten, die Lesben als sexuelle Orientierung ablehnen und diesen mit sehr viel Aggressionen begegnen. Schon mehrfach kam es in jüngster Zeit dabei zu körperlichen Auseinandersetzungen, bei denen die Lesben attackiert wurden.

Hier wäre dieser Brief eigentlich zu Ende, denn er ist eh schon zu lang. Aber ein Wort zu den Kindern muss noch sein: Ich bin erleichtert, dass Kinder ab 14 noch das Einverständnis der Sorgeberechtigten benötigen werden für eine Änderung des Geschlechtseintrags laut Eckpunktepapier, und ich finde es gleichzeitig richtig, dass ihnen der Rechtsweg über das Familiengericht offensteht, wenn sie eine Änderung des Geschlechtseintrags ohne Zustimmung ihrer Eltern vornehmen wollen.

Aber: Ich beobachte – auch im Umkreis meiner eigenen Kinder – immer öfter, dass Kinder mit Depressionen, Autismus, Vergewaltigungserfahrung oder anderen Traumatisierungen durch den Einfluss der sozialen Medien und ihrer Peer Group zu der Annahme kommen, sie seien trans oder non binary. Teilweise sind es auch einfach Jugendliche, die den üblichen Geschlechterklischees nicht entsprechen wollen und nun denken, sie gehörten deswegen zum anderen Geschlecht. Sie erhalten dafür viel Zuspruch und erleben ein Gefühl der Zugehörigkeit, das ihnen Auftrieb gibt.

Hier halte ich sehr viel mehr von einer guten therapeutischen/psychiatrischen Begleitung als von einfachen Lösungen wie einem geänderten Geschlechtseintrag. Vor allem aber, so habe ich Sie in der Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung des Eckpunktepapiers verstanden, sollten Kinder keine irreversiblen geschlechtsangleichenden Maßnahmen vornehmen lassen oder folgenreiche hormonelle Behandlung wie Pubertätsblocker ohne intensive medizinische Begleitung und Beratung erhalten. (Siehe dazu die neuesten Entwicklungen in Schweden und England, wo man zurückrudert.) Zumindest ist das vom Gesetz her nicht vorgesehen – aber wie sich das dann in der medizinischen Praxis auswirkt, kann ich nicht beurteilen. Ich baue darauf, dass gerade die Kinder vom Gesetzgeber besonders geschützt werden.

Ich hoffe, Sie finden trotz des sicher anspruchsvollen Tagesgeschäfts Zeit, diesen Brief zu lesen und sich damit inhaltlich zu beschäftigen. Ich erlaube mir, ihn in Kopie auch an Ekin Deligöz zu senden und werde ihn eventuell als offenen Brief in meinen Blog stellen, denn ich hoffe nach wie vor, dass ein guter Kompromiss für die anstehenden Reformen gefunden wird, nämlich ein Selbstbestimmungsgesetz, das der gesamten Gesellschaft gerecht wird und nicht nur Partikularinteressen bedient.

Es grüßt Sie sehr herzlich aus Konstanz,

Christine Finke

P.S.: Ich bin seit 1995 offen bi und schon auf etlichen CSDs mitgelaufen.