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Neusprech in der Familienpolitik: Ein-Eltern Familien, Gute-Kita Gesetz, Doppelresidenzmodell

Framing durch Neusprech auch in der Familienpolitik: Ein machtvolles bis gefährliches Instrument, wenn wir die Begrifflichkeiten, die wir benutzen, nicht hinterfragen. Denn Worte vernebeln Realitäten.

Vergangene Woche war ich als Referentin zu Gast auf einer Veranstaltung im Stuttgarter Landtag. Eingeladen hatten die Grünen, und das Ganze war ein familienpolitisches Fachgespräch. Es war eine mit kompetenten Speakerinnen besetzte Veranstaltung vor  interessiertem Fachpublikum, darunter auch einige Alleinerziehende, die politisch aktiv sind. Wir sprachen etliche Punkte an, die zu verbessern wären, und es bestand große Einigkeit darüber, dass vieles im Argen liegt für die Alleinerziehenden. Es war eine rundum gelungene Sache, überall zufriedene Gesichter, die sich über den Austausch freuten. Fein.

Aber dann ergriff die Staatssekretärin im Ministerium für Soziales in Baden-Württemberg, Bärbel Mielich, das Wort. Sie wollte mal einen ganz anderen Blickwinkel offerieren, sagte sie (nicht wörtlich, sondern sinngemäß), und dass sie es für wünschenswert und richtig hielte, wenn wir von dem Wort „Alleinerziehend“ weggkommen. Viel besser, meinte sie, sei doch der Begriff „Ein-Eltern Familie“ geeignet, der wirke nicht so negativ und einsam.

Ein-Eltern Familie statt Alleinerziehende? Neusprech lässt grüßen

Ich spürte, wie der halbe Raum schluckte. Es war in den Vorträgen des Vormittags zu großen Teilen darum gegangen, dass alleinerziehend zu sein sehr oft arm und einsam mache und viele Schwierigkeiten mit sich bringt – und gleichzeitig auch darum, wie viel Alleinerziehende leisten, um den Alltag zu wuppen. Da war die Staatssekretärin noch nicht anwesend gewesen, was bei solchen Veranstaltungen normal ist, denn diese hochrangigen Politiker haben einen sehr dichten Terminkalender, und ich denke auch, selbst wenn sie anwesend gewesen wäre, hätte sie ihren Redebeitrag genauso gehalten. Denn den Bürgern heiße Luft als gute Idee zu verkaufen, das machen Politiker gern.


Ich überlegte, ob ich die gute Stimmung jetzt stören solle und wolle, und dachte dann, jawohl, ich muss wohl. Sonst würde ich mich hinterher ärgern. Schließlich bin ich Sprachwissenschaftlerin, ich weiß, was Framing ist, und ich habe mich in letzter Zeit über so einige Begrifflichkeiten in der Familienpolitik geärgert. Das „Gute Kita Gesetz“ zum Beispiel, mit dem Franziska Giffey den Bundesländern Geld in die Hand gibt, über das sie frei verfügen können, was aber noch lange nicht für gute Kitas sorgt. In der FAS von heute sagt Expertin Susanne Viernickel sehr treffend, das Gute-Kita Gesetz sei für sie „leider eher kein Gute-Kita Gesetz, sondern ein „Geld-für-alles Gesetz““, und ich muss ihr zustimmen. Ich fühle mich verkaspert, wenn Politik mir solche hohlen Phrasen als Erfolge verkauft, und ich sehe nicht, wie wir durch Schönfärberei bei Begrifflichkeiten Probleme lösen sollen.

Politische Luftschlösser: Sorgende Gemeinschaften und Doppelresidenz

Und das habe ich dann auch gesagt, wenn auch in anderen Worten: „Meine Kinder haben zwei Eltern, auch wenn ich sie alleine erziehe. Und ich finde die Bezeichnung alleinerziehend sehr zutreffend, denn ich mache alles alleine.“ Und dass ich auch nicht an die „Sorgenden Gemeinschaften“ und „Lebendigen Quartiere“ glaube, auf die politisch nun gerade gesetzt wird, und das für mich politische Luftschlösser sind. Wir sollen uns nämlich alle besser vernetzen und dann helfen sich alle gegenseitig, das ist grob gesprochen die Idee. „Die einzigen, die mir helfen, sind andere Alleinerziehende“, ergänzte ich noch, und dass meine Nachbarschaft zwar sehr lebendig sei, aber für praktische Hilfe niemand Zeit habe. (Außerdem möchte ich nicht auch noch als helfende Nachbarin für die Pflege alter Menschen herangezogen werden, was teilweise in den Konzepten der Altenpflege wirklich so fabuliert wird!)

Als ob irgendetwas besser würde, wenn wir nun Ein-Eltern Familie hießen! Eine Teilnehmerin des Podiums warf ein, es sei ihr egal, wie sie genannt werde, solange sich die politischen Rahmenbedingungen verbesserten und sich endlich etwas tue. Das kann ich ein Stück weit verstehen – mir ist aber nicht egal, wie ich genannt werde. Denn beschönigende Begriffe vernebeln uns die Sicht auf die bestehenden realen Probleme, auch das ist Framing.

Residenzmodell, Doppelresidenzmodell, oder doch eher „Zerrissene-Kinder Modell“!?

Oder nehmen wir das „Residenzmodell“, wie es seit einiger Zeit genannt wird, wenn ein Kind getrennter Eltern seinen Lebensmittelpunkt bei einem Elternteil hat und dort wohnt (anders als beim Wechselmodell). Residenz – das klingt doch nach fürstlicher, weitläufiger Anlage mit Personal. Nicht nach Armut und 2-Zimmer Wohnung. Ich mag dieses Wort nicht, und noch weniger mag ich den Begriff der „Doppelresidenz“, den sich die Wechselmodellbefürworter rund um einige Väterrechtler ausgedacht haben, die dann auch noch die FDP unterwandert haben und dort Stimmung gemacht haben, bis diese Partei beschloss, das Wechselmodell als gesetzlicher Standard sei optimal.

Doppelresidenz, was für ein euphemistischer Begriff! Wer denkt da nicht an doppelte, heimelige Residenzen? Ehrlicher wäre es, dieses Lebensmodell als „Zerrissene Kinder“-Modell zu titulieren, oder als „Unterhalts-Sparversuch Modell“, oder als „Ehefrauen-von-der Trennung-Abhalte Modell“. Denn es soll laut deren Befürwortern auch durchgesetzt werden können, wenn nur ein Elternteil das wünscht, selbst wenn dieser sich vorher kaum ums Kind gekümmert hat, weil er immer arbeiten war. (Freiwilliges Wechselmodell finde ich super. Das nur als Disclaimer.)

Verlogen ist das, und gefährlich. Ich möchte nicht nur, dass wir beim „Asyltourismus“, den Markus Söder im Bayerischen Wahlkampf ins Spiel gebracht hat, wachsam sind. Sondern auch und gerade in der Familienpolitik. Denn da klingen die schönen Worthülsen irgendwie beruhigend, und wer will nicht glauben, alles sei mehr oder weniger in Ordnung? Nun, ist es nicht. Und bitte nennt mich nicht „Ein-Eltern Familie“. Meine Kinder wollen das übrigens auch nicht.

P.S.: JobCenter sind natürlich auch keine JobCenter. Sondern Arbeitslosen/Aufstocker-Verwaltungs-und Drangsalierungs-Institutionen. Im Grunde ist sind all diese Beispiele Orwellsches Neusprech*, und das Ziel dieser Wortschöpfungen ist, Ideologien zu verankern und Realitäten zu schaffen.

*Wikipedia: Neusprech wird im übertragenen Sinne als Bezeichnung für Sprachformen oder sprachliche Mittel gebraucht, die durch Sprachmanipulation bewusst verändert werden, um Tatsachen zu verbergen und die Ziele oder Ideologien der Anwender zu verschleiern.