Heute ist internationaler Tag der Gewalt gegen Frauen. Auf twitter sehen wir viele Bilder von Menschen, die ein Schild hochhalten, auf dem sie ihre Solidarität mit dem Anliegen zum Ausdruck bringen, Gewalt gegen Frauen zu beenden und einzuschreiten. Und unsere Familienministerin hat den Hashtag #schweigenbrechen gestartet.
Ich habe mein Schweigen gebrochen, auf mehreren Ebenen – zuerst im privaten Kreis, dann halböffentlich, dann im Blog. Es war unendlich schwierig, und es ist immer noch schwierig. Weil ich als ehemaliges Opfer (Wir nennen uns eher „Überlebende“) zu spüren bekommen habe, dass es offenbar ein menschlicher Reflex ist, dem Opfer zumindest eine Teilschuld am Geschehen zu geben, was ich auf den Selbstschutz der Außenstehenden zurückführe.
Für Frauen, die Gewalt in der Beziehung erlebt haben, ist es allerdings wie eine erneute Ohrfeige, wenn sie von ihrem Erleben erzählen und dann direkt oder indirekt gespiegelt bekommen, dass es an ihnen liegen müsse, dass sie Gewalt erfahren haben. Es ist nämlich nicht so. Das kann wenn nicht jeder Frau, so doch fast jeder Frau passieren. Gewalt zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten, und die Männer, die Gewalt ausüben, sind oft charmant, gebildet, auch erfolgreich, nach außen sanft und verständnisvoll, und niemand würde ihnen so etwas zutrauen. Sie haben häufig zwei Gesichter, was man Jekyll/Hykde Syndrom nennt, und zeigen ihre hässliche Fratze nur zuhause, wo sie sich absolut sicher fühlen. Manche sind psychisch krank, andere einfach durch toxische Männlichkeit geprägt.
Problem 1: Scham
Als gebildeter, selbstständiger Frau DARF dir so etwas nicht passieren. Und falls du nicht gebildet und selbstständig bist, schämst du dich über mangelnde Bildung und Selbstständigkeit, die hätten dich nämlich vor dieser Situation geschützt, glaubt die Umwelt und irgendwann auch du.
Du kannst aus heiterem Himmel gekündigt werden, du kannst einen Autounfall haben oder Krebs, da kannst du dir der Sympathie deiner Umwelt gewiss sein. Aber wenn du erzählst, dass dein Partner dir gegenüber gewalttätig wurde, dann ist das ein solches Tabu, so unverstellbar, dass Problem 2 greift:
Problem 2: Victim Blaming
Wenn du erzählst, dass dein Ex dich massiv misshandelt hat, sagen wir jetzt sicherheitshalber mal irgendein Exfreund (warum ich das so ausdrücke, erkläre ich weiter unten), dann fallen die Reaktionen ziemlich uniform so aus:
- „Du musst doch irgendwas getan haben, dass er so wütend wurde.“
- „Du bist aber auch nicht immer einfach.“
- „Zum Streiten gehören immer zwei.“
- „Das würde ich mir nie gefallen lassen.“
- „Ich wäre sofort gegangen.“
- „Also ich hätte gleich gemerkt, dass mit dem Mann etwas nicht stimmt.“
Mehr zum Thema Victimblaming bei häuslicher Gewalt hat Rona Duwe vom Phönixfrauen Blog heute früh aufgeschrieben, da erklärt sie das Phänomen noch differenzierter. Wenn man gerade all seinen Mut zusammengenommen hat, um sich jemandem anzuvertrauen, dann ist es sehr entmutigend und destabilisierend, diese Sätze zu hören. Die Frau verstummt. Wie soll sie erklären, was passiert ist, wo es doch eigentlich unerklärlich ist, weil es nur wenig mit ihr, aber viel mit dem Täter zu tun hatte?
Bei vielen Unbeteiligten ist die Idee von häuslicher Gewalt zudem, dass hier ein Mann über Jahre jemandem blaue Augen schlage. So ist das aber nicht. Es ist viel subtiler und fängt bei kleinen, kränkenden Bemerkungen an – re-empowerment erklärt das sehr gut.
Problem 3: Angst vor einer Klage
Üble Nachrede heißt das. Wer, wie ich, bei der Polizei war, hat bessere Chancen, überhaupt etwas erzählen zu können. Aber wehe, wenn du nicht den Mut hattest, den Vorfall aktenkundig machen zu lassen. Dann kann dir dein Exfreund den Mund verbieten, auf Unterlassung klagen. Und du hast jede Menge Ärger.
Von daher der dringende Rat, den Täter entweder anzuzeigen oder zumindest den halboffiziellen Weg der fachgerechten Dokumentation der Verletzungen beim Arzt und der Gefährdungsansprache zu gehen, die über die Polizei erfolgt, die auch gute Opferberatung macht, ohne hilfesuchende Frauen zu drängen, eine Anzeige gegen den Täter, der vielleicht auch Vater ihrer Kinder ist, zu tätigen. Womit wir bei der nächsten und größten Hürde sind, das Schweigen zu brechen:
Problem 4: Angst, dass die Kinder leiden
Wer will schon, dass die eigenen Kinder „Die Kinder von dem Schlägertyp“ sind? Wie wird das sein, in der Schule, wenn es mal ganz normale Auseinandersetzungen gibt, bei denen die Kinder sich raufen – heißt es dann nicht gleich: „Kein Wunder, war nicht der Vater schon gewalttätig?“
So etwas will niemand für die Kinder. Und auch die Kinder müssen nicht in allen Einzelheiten wissen, was vorgefallen ist. Wie soll ein Kind damit leben, dass der eigene Vater, den es von Herzen liebt, die Mutter massiv bedroht und verletzt hat? Wie kann ein Kind damit umgehen, und muss es das überhaupt?
Ich kann jedenfalls jede Mutter verstehen, die den Expartner nicht anzeigt, und die den Kindern sagt, man habe sich einfach nicht mehr verstanden und zu viel gestritten (abgesehen davon ist ein vorbestrafter Vater oder einer im Gefängnis auch schwierig für die Kinder). Einige Frauen, die Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden, sagen ihren Kindern, der Papa habe die Mama gehauen, das halte ich für kindgerecht bei Kitakindern und auch Grundschulkindern.
Das Dilemma ist:
das Schweigen zu brechen ist furchtbar schwierig, wenn eine Mutter ihre Kinder schützen will. Das ginge nur, wenn Scham, Victimblaming und Sorgen vor einer Klage ausgeräumt würden. Außerdem haben viele Frauen, die Opfer wurden, noch Jahre nach der Gewalttat Angst vor dem Täter, und das berechtigt. Man weiß nie, ob und wann er noch einmal Rache nehmen wird. In Deutschland wird alle 1,5 Tage eine Frau von ihrem Expartner getötet. Das sind furchtbar viele. Und auch dieser Text ist mal wieder grenzwertig. Aber da es zu meinem Engagement gehört, hier Aufklärung zu betreiben, werde ich auf Veröffentlichen klicken.
Ergänzung vom 25.11.2017:
Solange die Frauenhausfinanzierung Sache der Länder und Kommunen ist und auf unsicheren Füßen steht, und solange wie Umgangsrecht des Täters über Gewaltschutz des Opfers steht, ist noch viel zu tun. Die 2017 erfolgte Ratifizierung der Istanbulkonvention ist nur der erste Schritt.