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Viagra für die Frau – auf dass sie funktioniere!

Dieser Text beginnt mit einem Geständnis: Ich habe sie mir lange gewünscht, die „Lustpille“ für die Frau. In der einen oder anderen langjährigen Beziehung, die den Bach runterging, weil im Bett nix mehr lief. Oder um genau zu sein, schmerzhaft genau, weil ICH keine Lust mehr hatte.

ER aber schon. Und weil dieses Ungleichgewicht der Lust es so schwer machte, die Beziehung zu führen. Kopfschmerzen vorzuschürzen fand ich albern, das habe ich nie getan. Aber ständig zu sagen „Ich mag jetzt nicht“ oder den Nähe suchenden Partner wegzuschubsen, ist auch nicht gut für die Beziehung.

„Du liebst mich nicht!“,  schmollte der Eine, „Ich suche mir eine Freundin!“, drohte der Andere an. Die Idee fand ich eigentlich ganz gut, eine Zweitfau als Entlastung, aber als ich sagte, das solle er doch machen, ich hätte sowieso in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit offenen Beziehungen gemacht, war der Mann beleidigt. Nee, das wollte er doch nicht. Er wollte eine funktionierende Frau. Sex zuhause, ohne emotionale Verstrickung, ohne Drama, ohne Unberechenbarkeiten, am besten 2-3 Mal die Woche. Oder täglich. Bei der Vorstellung schüttelte es mich.

Einst, ich war noch unter 20, träumte ich, dass ich im Hochzeitskleid in einen Sarg gelegt werde (von Heirat war damals gar nicht die Rede, es war nur so ein Gefühl), und bald darauf betrog ich meinen damaligen Freund, was zu allerlei Drama führte. Ich habe oft überlegt, was ich hätte besser machen können in jener Situation. Denn der Freund war ein guter, wir sind immer noch Freunde, und einfach andere Wege gegangen, weil es mit dem Sex nicht mehr klappte.

Ich sah es kommen und konnte es doch nicht ändern. Und ich hätte jede Medizin genommen, die ich hätte bekommen können, um wieder das erotische Prickeln in unserer Beziehung spüren zu können. Es war weg, spurlos verschwunden, jedenfalls für mich. Gelegentlich gab ich mich hin, um Ruhe vor den Vorwürfen zu haben, und meist hat mich das auch nicht gequält. Aber je öfter ich es tat, desto mehr fühlte ich mich falsch. Es wurde so schlimm, dass ich am Ende das Gefühl hatte, mich zu prostituieren, um des lieben Friedens Willen. Eigentlich ist das eine Selbst-Vergewaltigung. Es ist nicht gut.

Frauen sprechen untereinander oft sehr offen und drastisch über Sex und ihre Liebhaber. Das denkt man vielleicht nicht so, aber wir sind da wenig blümerant. Und ich weiß von daher, dass ich nicht alleine bin mit dieser Einstellung zu langjährigen Beziehungen und Sex. Deswegen macht mir diese neue Lustpille für die Frau auch Sorgen. Sie kostet 400 Dollar, muss täglich eingenommen werden, und das über Wochen, bis sie wirkt, und hat erhebliche potentielle Nebenwirkungen (Schwindelgefühle, Angstzustände, gefährlich niedriger Blutdruck), eigentlich handelt es sich bei diesem Wundermittel um ein Antidepressivum, das auf den Serotoninhaushalt einwirkt und für die vermehrte Ausschüttung von Dopaminen sorgt. Und das Resultat ist dann 1-2 Mal mehr Sex im Monat, der etwas zufriedenstellender sein soll. Hm.

Wobei es eigentlich gut ist, dass dieses Mittel so viele unerfreuliche Nebenwirkungen und einen so hohen Ladenpreis hat (derzeit ist es sowieso nur in den USA und auf Rezept erhältlich), denn wer weiß, wie viele Frauen es sich doch einwerfen würden, um ihre Beziehung zu retten. Dass sie frigide sei, mag sich wohl kaum eine Frau sagen lassen, und auch ich habe darunter gelitten, dass ich mir selbst so vorkam. Dabei hatte ich nur keine LUST mehr auf diesen Mann an meiner Seite. Das wollte ich mir aber nicht eingestehen, es wäre zu unpraktisch, zu schmerzhaft gewesen und hätte viele unbequeme Konsequenzen gehabt.

Da haben wir meinen Eigenanteil, ich habe nicht sehen wollen, was mein Körper mir mitteilte. Denn ich weiß sehr wohl, dass ich in der Lage bin, Lust zu empfinden. Aber nur, wenn ich Lust auf jemanden habe. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und wenn ich das Leben leben kann, das zu mir passt. Möglicherweise ist es halt keines, das klassischen Wertvorstellungen folgt. Und auch das muss frau sich erst einmal eingestehen. Denn wollen wir am Ende nicht alle einfach „normal“ sein? Ich habe als Konsequenz normal für mich neu definiert. Es ist normal und gut, wenn ich keinen Sex haben will. Und es ist genauso normal und gut, wenn ich vor Begierde auf jemanden fast zerfließe. Solange ich mich nicht verbiege.

Ich bin jedenfalls sehr froh, dass es diese Lustpille für die Frau noch nicht gab, als ich in der Lustlosigkeits-Bredouille steckte. Denn ich hätte sie zweifellos geschluckt in meiner Not. Glück gehabt. Und hoffentlich daraus gelernt.

 

Linktipps: Viagra für die Frauen, Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 20.08.2015

Viagra für Frauen erhält Zulassung in der FAZ vom 19.08.2015