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Zwischen harter Arbeit und Glück – Familienurlaub mit Kindern

Am Meer ist es sogar bei Regen schön. Vieles war schön, und doch war es sehr anstrengend, verreist zu sein. Wir sind seit vorgestern zurück in der Stadt, in den eigenen vier Wänden, und vor allem meine autistische Jüngste ist darüber heilfroh.

Wir sind als Familie mittlerweile ein eingespieltes Team, ich denke nicht mehr darüber nach, wie schön es wäre, einen zweiten Erwachsenen dabei zu haben, vielleicht auch, weil das nach fast 12 Jahren des Alleinelebens mit drei Kindern auch irgendwie müßig ist, und ich bin sehr gerne mit meinen Kindern in den Urlaub gefahren. Dass das erholsam sein würde, habe ich nicht erwartet, aber es kamen doch einige Unwägbarkeiten auf mich zu, mit denen ich nicht gerechnet hatte.

Verreisen mit autistischem Kind – zu viel Fremdes und Neues

Dass die Jüngste zum Beispiel nicht aus dem Auto steigen wollen würde bei der Übernachtungsetappe, die ich eingeplant hatte, weil 14 Stunden Autofahren an einem Tag für mich einfach zuviel ist. Es ist weit bis an die Ostsee, und auf halber Strecke haben wir Verwandte, die wir immer besuchen, wenn wir uns auf den Weg ans Meer machen. Zuletzt waren wir vor zwei Jahren da, und das war für meine autistische Tochter ein so langer Abstand, dass sie sich weder an die Verwandten noch an das Haus erinnerte, in dem sie schon so viele Male zu Besuch war. Das waren nun fremde Leute und ein fremdes Haus, und da wollte sie weder rein noch schlafen, und schon gar nicht dort etwas essen oder mit Leuten reden. An mir war es nun, das den Verwandten zu erklären, die’s mit Fassung trugen, und dafür zu sorgen, dass meine Tochter halbwegs stressfrei in das große Zimmer fand, in dem wir schliefen. (Alleine das schon ist ein Stressfaktor, kein eigener Rückzugsraum für sie als Autistin.)

Das mit dem eigenen Zimmer setzte sich dann am Urlaubsort fort, die Wohnung, die wir gemietet hatten, war wunderschön, aber halt nur mit 2 Zimmern ausgestattet – in einem davon schliefen meine Tochter und ich gemeinsam, im Wohnzimmer machte es sich der Sohn auf dem Sofa bequem. Tagsüber hatte meine Tochter unser Zimmer für sich, und dort blieb sie dann auch meistens drin.

Stress durch Urlaub: Sollen wir vorzeitig abreisen?

Es gab viele schöne Momente, und dazu komme ich gleich, aber es war für meine Tochter ausnehmend schwierig, weg von Zuhause zu sein, und das tat mir sehr leid, vor 2 Jahren war das noch anders gewesen. Sie verlor den Appetit (die von mir gekauften Zuhause immer gegessenen Lebensmittel brachen leider den Bann auch nicht, einzig Nutellacrepes vom Strand und doppelte Cheeseburger von McDonald’s gingen noch – dafür fuhr ich dann nach vier Tagen extra in die nächstgrößere Stadt, weil sie so schwach wurde) und stellte die Körperhygiene ein, am ersten Tag musste ich sie sogar daran erinnern, dass sie nach 24 Stunden dringend mal wieder Pipi machen gehen solle, und die fremde Dusche zu benutzen war über den gesamten Urlaub ihr nicht möglich. Sogar Zähneputzen, Zuhause gar kein Problem, konnte sie die ersten vier Tage lang nicht.

Aber nach Hause fahren wollte sie auch nicht, und zwar nicht, weil sie das nicht gewollt hätte, sondern weil sie uns den Spaß nicht verderben wollte. Das rechne ich meiner Tochter hoch an, auch wenn es für mich sehr zwiespältig zu sehen war, denn ich habe ja immer die Interessen und das Wohlbefinden beider Kinder abzuwägen, und im Idealfall auch mein eigenes nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Für mich, das ist jetzt vielleicht etwas besser verständlich, war dieser Urlaub also ein ständiger Tanz auf dem Seil, und auch ich war rechtschaffen erschöpft, als wir hier wieder ankamen.

Familienurlaub mit Kindern ist mehr Teambuilding als Erholung

Für die guten Momente aber war es das absolut wert: das fängt für mich schon damit an, dass wir es überhaupt schaffen, gemeinsam als Familie irgendwo hin zu fahren. Auch das Fahren selbst, 2 Tage im Auto hin und 2 Tage zurück, das früher immer mit heftigem Geschwisterstreit einherging, ist sowas wie ein Sieg, weil es eigentlich ein bisschen verrückt ist, das zu machen. Diesmal ging es ganz ohne Streit, und das ist bei einem autistischem Kind und einem mit ADS, die sehr gegensätzliche Charaktere haben, absolut nicht selbstverständlich. Es gab die ganze Reise über keinen Streit zwischen den Geschwistern, wenn auch nicht große Zuneigung, aber Wunder erwartet ja niemand, bereits das Fehlen von Zwist ist ein großer Erfolg!

Eigentlich ist in den Urlaub zu fahren für mich so etwas wie ein Teambuilding Event, und zwar eins, bei dem ich als sozialpädagogische Begleitung dabei bin. Dass das also kein Urlaub für mich als Elternteil sein kann, liegt auf der Hand. Es tut uns gut, mal rauszukommen aus unserem Trott, speziell dem Sohn, und wir beide haben 11 Tage lang beinahe digital-Abstinenz ganz ohne Qualen durchgehalten, das Handy nehme ich da mal aus, denn sowohl er als auch ich sind ziemlich viel am Computer Zuhause. Ich hab’s genossen, den Rechner aus zu lassen, keine Nachrichten zu schauen, nicht zu arbeiten und mich nur um meine Kinder zu kümmern.

Die erholsamen Momente waren Sternstunden

Ich habe im Strandkorb gesessen und gelesen, ich habe meine Lieblinskusine aus Kiel getroffen, die samt Mann und Kind an unseren Urlaubsort angereist kam für einen Nachmittag, wir haben Jüngstes Freundin aus Hamburg, die nun in Schleswig-Holstein wohnt, und deren Mutter vergangenen Sonntag zu Besuch gehabt, und das war eins der absoluten Highlights dieses Urlaubs für mich, weil meine Tochter so glücklich war.

Sie war auch gücklich am ersten Abend, als wir am Strandkorb standen, und sie sich erinnerte, dass sie an diesem Ort schon gewesen war, da fing sie an, selbstvergessen im Sand zu tanzen (das ist autistisches Stimming-Verhalten), und sie lachte von innen heraus, sie war frei und froh, und es gibt ein Foto von diesem Gückszustand, von uns beiden, wie wir etwas später an der Promenade stehen – ein Moment, den ich nie vergessen werde.

Familie als sicherer Hafen und Basis – und so viel davon!

Und auch der Sohn hatte Glücksmomente, vor allem im Zusammenhang mit der großen Familie, die dort im Ostseebad immer zusammenkommt, und auch mit der Familie, die wir auf der An- und Abreise besuchten. Für ihn als unfreiwillig vaterloses Kind (sein Vater meidet den Kontakt und hat ihn nach der Scheidung weder besucht noch anderweitig versucht, mit ihm eine Beziehung zu erhalten) sind diese Familienzusammenkünfte ein Kraftort, er sieht aus beiden Familien, also auch der des Vaters, so viele wunderbare Menschen, dass er wieder daran glauben kann, fest verankert in einer liebevollen Gemeinschaft zu sein.

Und auch mir tut das gut, denn ich mag meine Familie, auch die angeheiratete, sehr. „Von euch“, sage ich ihnen immer, wenn ich sie besuche, „habe ich mich nicht scheiden lassen!“, und die Schwiegerfamilie liebt mich und meine Kinder wirklich so, als wären wir ihre eigenen. Das zu spüren versöhnt mich mit der Wahl, die ich mit dem Exmann getroffen habe. (Der übrigens keinen Kontakt mehr zu seiner eigenen Herkunftsfamilie hat.)

Himmlische Ruhe im Urlaubsort versus Heimkommen in die Stadt

Was sonst noch schön war? Vor allem die Ruhe. Die Stille in der Ferienwohnung und in dem Ort am Meer, keine Autos morgens um 6 Uhr, die zur Arbeit starten, direkt neben meiner Konstanzer Wohnung im Erdgeschoss, die viel zu nahe am Fußweg und an der Straße ist, keine Autos, die mit laufendem Motor minutenlang vor meinem Balkon stehen.

Keine laut erzählend am Schlafzimmerfenster vorbeilaufenden Menschen nachts, keine Betrunkenen, die gefühlt direkt neben meinem Kopfkissen grölen (das keine 3 Meter vom Fußweg weg ist), keine lärmende Müllabfuhr an mehreren Tagen der Woche morgens um halb 7, keine ohrenbetäubenden Kehrmaschinen auf dem Fußweg oder Straßenreinigung, keine Krankenwagensirenen, und keine Nachbarn, die ihre Kinder anschreien, keine heulenden und kreischenden Kinder, die Ohrfeigen bekommen, was hier im Wohnblock ganz normal ist, und was mir immer mehr unerträglich wird, zusammen mit dem autoritären Erziehungsstil, bei dem Kinder anbrüllen, einsperren und schreien lassen als probate Methode gilt.

Laut ist es hier, und voll. Aber es ist eben auch unser Zuhause, und speziell die Jüngste möchte jetzt erstmal nirgendwo mehr hin. Die gute Nachricht ist, dass sie somit offener für die Verhinderungspflege ist, die ihr mit Pflegegrad 3 zusteht, und ich zukünftig wohl alleine zu Veranstaltungen, Klausurtagungen und Netwerktreffen fahren kann, weil sie ja überhaupt nicht mitkommen möchte, das macht für mich ein weiteres Fenster auf, und ich freue mich darüber.

Mit den Kindern neue Wege gehen und den Kopf frei bekommen

Den Urlaubsort, in dem ich schon bestimmt 20 bis 30 Mal war, habe ich noch einmal total neu kennengelernt, weil mich meine Spaziergänge mit Jüngster an Ecken führten, die ich vorher noch nie gesehen hatte, unter anderem unter Naturschutz stehende Wälder, einen einsamen Strandabschnitt, und viele Straßen, durch die ich vorher nie gegangen war.

Und ich habe die gesamten 11 Tage, die wir unterwegs waren, nicht ein Mal an das leidige Thema Schule gedacht, das mich sowohl beim Sohn als auch bei der Jüngsten sehr beschäftigt, und das seit Jahren eine Belastung ist, auch schon ohne Corona. Runde Tische, Hilfeplangespräche, Therapeutenmeinungen, Jugendamtsgespräche, die Suche nach einem Schulplatz für meine autistische Jüngste, all das hat am Meer keine Rolle gespielt, und das war herrlich. Wir waren draußen, raus aus unserer kleinen Wohnung, am weiten Meer, und wir sind daran gewachsen, was für mich insgeheim auch der Sinn von solchen Unterfangen ist.

Was bleibt vom Urlaub, wenn nicht Erholung?

Erlebnispädagogik selbstgemacht sozusagen, im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten. Dinge verändern sich, neue Perspektiven und Handlungsspielräume tun sich auf, und wir als Familie sind wieder ein Stück weiter gekommen. „Schön war es nicht, aber gut.“ Das ist wohl, was ich antworten werde, wenn mich das nächste Mal eine kinderlose Bekannte ganz unschuldig fragt, ob der Urlaub schön war. Und vielleicht war es auch der letzte gemeinsame Urlaub als Familie, denn mein Sohn ist nächsten Sommer 16 ½, und für Jüngste ist Verreisen offenbar mehr Qual als Freude, das muss gut überlegt werden.

Und trotzdem: Als meine Tochter nach jenem ersten Abend am Meer ins Bett sank, müde von den Strapazen der zweitägigen Reise und all den Eindrücken, aber beeindruckt von dem Gefühl, das sie am Strandkorb erfüllt hatte, sagte sie: „Mama, glücklich zu sein ist sehr anstrengend.“ Ich wusste, dass sie glücklich gewesen war, weil ich es an ihrem Gesicht und ihrem Verhalten gesehen hatte, fragte aber sicherheitshalber nochmal nach, auch damit für sie dieses Gefühl deutlich benannt war: „Das heißt, du warst vorhin glücklich?“, und sie antwortete „Ohja, sehr.“

Und auch beim Sohn sah ich Leichtigkeit, Albernheit, Aufgeschlossenheit und Glück. Was will man also mehr? Kinder glücklich zu machen, kann sehr anstrengend sein. Aber wenn es gelingt, ist es richtig toll. Und wenn die Kinder erwachsen sind, dann mache ich mal richtig Urlaub. Solchen, auf den man vorbehaltlos antworten kann „Ja, danke, der Urlaub war super schön!“ Alleine schon die Vorstellung treibt mir fast die Tränen in die Augen, so lange habe ich das nicht mehr gehabt. Aber jetzt erstmal weiter im Alltag, noch sind die Kinder nicht groß, und noch ist es nicht soweit. Bis dahin werde ich die Zeit mit ihnen bei allen Widrigkeiten als Geschenk sehen.

Linktipp von Silke Bauernfeind, Ellas Blog: „Habt Ihr Euch im Urlaub gut erholt?“